Neue gentechnische Verfahren sollten strikt nach Gentechnikrecht beurteilt und zugelassen werden, meint die Wissenschaftlervereinigung ENSSER (European Network of Scientisti for Social and Environmental Responsibility). Die 60 Unterzeichner der Erklärung betonten, dass diese Techniken unbeabsichtigte, unvorhersehbare und potentiell negative Konsequenzen mit sich bringen können. Eine gründliche und wissenschaftlich unabhängige Risikoprüfung sei deshalb unerlässlich.
ENSSER veröffentlichte die Stellungnahme parallel zu einer Konferenz der Europäischen Union zu diesem Thema. „Es geht nicht darum, diese Techniken zu verbieten“, erklärte ENSSER-Vorstandsmitglied Ricarda Steinbrecher auf dieser Tagung. „Wir brauchen jedoch eine Regulierung und Risikobewertung, da diese Techniken noch sehr neu und nicht ausreichend erforscht sind.“ Die Behauptung der Befürworter, die neuen Techniken seien präzise und würden nur die beabsichtigten und erwünschten Effekte hervorrufen, sei ungerechtfertigt, heißt es in der ENSSER-Erklärung. Veröffentlichte Studien zeigten, dass es regelmäßig zu unerwarteten und unerwünschten Nebenwirkungen käme. Der Vorschlag, die neuen Verfahren aus dem Gentechnikrecht herauszunehmen, würde das EU-Zulassungsverfahren zerstören, das auf dem Vorsorgeprinzip beruht, warnte ENSSER.
Auch aus Sicht der EU-Gruppe des Biodachverbandes IFOAM gibt es weder rechtliche noch wissenschaftliche Gründe, diese Techniken von der Regulierung auszuschliessen. Eine Deregulierung hingegen würde die Gentechnikfreiheit des Biolandbaus und der gesamten gentechnikfreien Landwirtschaft gefährden, sagte Jan Plagge, Vize-Präsident von IFOAM-EU. „Die Europäische Union sollte garantieren, dass kein durch die neuen Techniken hergestelltes Produkt vermarktet wird, bevor Nachweismethoden verfügbar sind.“
Die Schweizer Allianz Gentechnikfrei (SAG) berichtete, andere Teilnehmer der Konferenz hätten argumentiert, dass es nötig sei, die Verbraucher über die Sicherheit dieser Techniken zu informieren und ihr Vertrauen zu gewinnen. Von den neuen Techniken würde keine Gefahr für die Konsumenten ausgehen, da diese sehr präzise und zielgerichtet seien. Nur eine Anwendung der Techniken garantiere die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Land- und Lebensmittelwirtschaft „Wir haben eine Innovationskrise in Europa und bisher keinen Weg gefunden, um Innovation in die Regulierung zu integrieren“, zitierte die SAG John Bell, Direktor für Bioökonomie bei der EU-Kommission.
Auch für die Mehrheit der Konferenzteilnehmer war klar, dass die neuen gentechnischen Verfahren für die EU-Landwirtschaft in der Zukunft eine Rolle spielen sollten. Doch diese Meinung des Publikums, das zu einem Großteil aus Vertretern der industriellen Agrarwirtschaft und Politikern bestand, sei nicht repräsentativ für die Auffassung der Bevölkerung, sagte Camilla Udsen, leitende politische Beraterin beim Dänischen Verbraucherverband. Bei den Konsumentinnen und Konsumenten sei ein großes Misstrauen gegenüber den neuen gentechnischen Verfahren spürbar. Sie verwies auf eine Empfehlung des Transatlantischen Verbraucherdialogs, ein Forum US-amerikanischer und EU-Verbraucherorganisationen. Es fordert ebenfalls, dass Produkte, die mit Hilfe dieser Verfahren hergestellt wurden, als gentechnisch veränderte Organismen reguliert sowie verbindlich gekennzeichnet werden müssten. [lf]ENSSER Statement on New Genetic Modification Techniques (27.09.2017)European Commission - Conference: Modern Biotechnologies in Agriculture – Paving the way for responsible innovation (28.9.2017 - mit Konferenzvideos)IFOAM EU press release: The organic movement calls for the regulation of new genetic engineering techniques as GMOs (27.9.2017)Schweizer Allianz Gentechnikfrei: Rolle der neuen gentechnischen Verfahren für Landwirtschaft umstritten (3.10.2017)IFOAM EU-Group: New Plant Breeding Techniques. Position paper (10.12.2015)Infodienst: EU-Kommission debattiert neue Verfahren der Gentechnik (26.09.2017)EU-Berater betonen Vorteile neuer Züchtungsmethoden (4.5.2017)