Um ihre geplanten neuen Regeln für neue gentechnische Verfahren (NGT) nachhaltig zu gestalten, erwägt die Europäische Kommission, Herbizidtoleranz bei Pflanzen für unerwünscht zu erklären. Das sagte ein Mitarbeiter der Kommission gestern bei einer Veranstaltung in Brüssel. Es werde in jedem Fall auch künftig ein Zulassungsverfahren für NGT-Produkte geben und sie müssten gekennzeichnet werden.
Die neuen Regeln würden ganz an ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aus dem Jahr 2018 angepasst, das Vorsorgeprinzip bleibe das Leitprinzip, sagte Klaus Berend von der Generaldirektion Gesundheit der EU-Kommission. Der EuGH hatte entschieden, dass NGT-Produkte nach den bestehenden Regeln für Gentechnik zu behandeln seien. Die EU-Kommission sagt, diese Regeln würden für die neuen Technologien nicht mehr passen. NGT sollten eingesetzt werden, um die Nachhaltigkeitsziele der „Farm to Fork“-Strategie zu unterstützen. Dafür sollen etwa Pflanzen entwickelt werden, die mit Klimastress besser umgehen können. Bislang stellt die Agrarindustrie mithilfe von Gentechnik aber vor allem herbizidtolerante Pflanzen her, wodurch mehr Pflanzengifte eingesetzt werden.
Die künftigen NGT-Regeln müssten mit dem Ziel der EU-Kommission vereinbar sein, bis 2030 25 Prozent ökologischen Landbau zu erreichen, versicherte Berend. Ein Vertreter des europäischen Öko-Verbands IFOAM betonte, dass Bioprodukte zwingend gentechnikfrei sein müssen. Daher seien ein geschützter Anbau und eine gentechnikfreie Lieferkette unerlässlich. Die EU-Kommission will bis zum Sommer 2023 ein „maßgeschneidertes Regelwerk“ für neue Technologien wie Crispr/Cas vorlegen. Aktuell läuft das offizielle Beteiligungsverfahren für die Öffentlichkeit.
Bundesumweltministerin Steffi Lemke sieht „keinen Bedarf für eine Neuregulierung“, sagte sie als Gastgeberin der Podiumsveranstaltung zu den Umwelt- und Verbraucheraspekten von NGT. Sollte die Mehrheit der EU-Länder anderer Meinung sein, sei ihr wichtig, dass es weiterhin zwingend eine Risikobewertung von NGT-Produkten gebe und diese auch gekennzeichnet werden. Das Vorsorgeprinzip sei nicht verhandelbar. Die von der EU-Kommission angestrebte Nachhaltigkeit müsse ganzheitlich beurteilt werden, so die Grünenpolitikerin. Es gehe um die gesamte Pflanze, ihr Anbausystem, die Auswirkungen auf Bodengesundheit, Wasserhaushalt und angrenzende Ökosysteme, die Verfügbarkeit von Saatgut für Landwirte und die Konsequenzen für die ökologische Landwirtschaft und verwandte Branchen. „Ich werde jedenfalls darauf hinwirken, dass bei einem etwaigen Nachhaltigkeitsnachweis für NGT-Pflanzen all diese Kriterien betrachtet werden“, kündigte Lemke an.
Die norwegische Wissenschaftlerin Sarah Agapito verwies auf neue Studien, dass auch vermeintlich präzise Verfahren wie die sogenannte „Genschere“ das Genom einer Pflanze stark verändern können. Da in Südamerika jetzt die ersten NGT-Pflanzen ohne Kennzeichnung angepflanzt würden, müsse sich die EU auch mit der Frage befassen, welche gentechnischen Prozesse diese Pflanzen in ihrer Umwelt anstoßen. Nach Ansicht der Verbraucherzentrale müssen NGT-Produkte schon deshalb rückverfolgbar sein, um feststellen zu können, wer für mögliche Schäden hafte. Im Übrigen müssten die Verbraucher*innen, die mehrheitlich gentechnikkritisch sind, frei wählen können, was sie kaufen und essen wollen, sagte ihre Vertreterin in Brüssel. Ein neues Gesetz brauche man dafür nicht. [vef]Infodienst - Neues Gentechnikrecht: Bürger können sich an EU-Konsultation beteiligen (06.05.2022)Bundesumweltministerium - Neue Gentechnik: Risikoprüfung und Kennzeichnungspflicht müssen erhalten bleiben (Meldung + Video zum Podium vom 13.06.2022 in Brüssel)