Die EU-Kommission will am 5. Juli ihren Verordnungvorschlag zugunsten neuer gentechnischer Verfahren (NGT) vorstellen. Im Vorfeld wurde ein als „sensitiv“ eingestufte Vorschlag, den die Generaldirektion Gesundheit von EU-Kommisarin Stella Kyriakides erarbeitet hat, samt Folgenabschätzung Medien zugespielt. Beschließt die Kommission in ihrer Sitzung am 5. Juli diesen Vorschlag, würden die meisten NGT-Lebensmittel ungekennzeichnet auf den Tellern landen. Entsprechend deutlich ist die Kritik.
Das Portal arc2020.eu hat den vorgeschlagenen Verordnungstext, die Folgenabschätzung sowie zwei Stellungnahmen des kommissionsinternen Regulierungsausschusses veröffentlicht. Die geplante Verordnung würde NGT-Pflanzen und daraus hergestellte Lebens- und Futtermittel in zwei Kategorien einteilen. Kategorie 1 wären alle NGT-Pflanzen, in deren Erbgut beliebig viele Gene an- oder abgeschaltet wurden. Auch dürfen beliebige Genkonstrukte hinzugefügt werden, solange sie von Arten stammen, die natürlich oder mit biotechnologischer Hilfe gekreuzt werden können. Zudem sind auch bei jeder Pflanze bis zu 20 Eingriffe erlaubt, bei denen kleine Erbgut-Sequenzen eingefügt oder entfernt werden.
Alle so entstandenen Pflanzen würden nicht mehr unter das Gentechnikrecht fallen. Für sie gäbe es keinerlei Risikoabschätzung und keine Kennzeichnung mehr. Will ein Hersteller Feldversuche mit einer Pflanze der Kategorie 1 durchführen, meldet er das der zuständigen nationalen Gentechnikbehörde. Diese soll innerhalb eines Monats ihre Entscheidung treffen und diese den Mitgliedsstaaten und der Kommission zur Kommentierung zukommen lassen. Gibt es von diesen innerhalb von 30 Tagen keine Einwände, gilt die Entscheidung der nationalen Behörde über die Einordnung als NGT 1-Pflanze - auch für deren spätere Vermarktung. Gibt es Einwände, soll die EU-Lebensmittelbehörde EFSA binnen eines Monats ein Gutachten erstellen, auf dessen Basis dann die EU-Kommmission entscheidet. Ohne vorgeschaltete Feldversuche wären direkt EFSA und Kommission mit den gleichen Fristen zuständig. Für NGT 1-Pflanzen sieht die Verordnung ein EU-weites Register vor und das Saatgut muss gekennzeichnet sein, damit Anbauende wählen können. Eine weitere Kennzeichnung innerhalb der Lebensmittelkette sieht der Vorschlag nicht vor.
In die Kategorie 2 würden nur Pflanzen fallen, denen größere Erbgut-Sequenzen eingefügt werden oder solche, die von fremden Arten stammen. Auch NGT-Pflanzen mit eingebauter Herbizidresistemz würden in Kategorie 2 fallen. NGT 2-Pflanzen müssten die Hersteller und Verarbeiter weiter kennzeichnen, dürfen sie aber zusätzlich mit Nachhaltigkeitsbehauptungen versehen. Für die Pflanzen soll es eine fallspezifische Risikobewertung geben, deren Details die EU-Kommission gerne selbst festlegen würde. Für die Bewertung und Zulassung von NGT 2-Pflanzen für Feldversuche oder die kommerzielle Vermarktung gelten vergleichbare Regeln wie für NGT 1-Pflanzen
Maßnahmen, um eine Kontamination der gentechnikfreien Land- und Lebensmittelwirtschaft zu verhindern, überlässt der Vorschlag den einzelnen Mitgliedsstaaten. Allerdings verbietet er ihnen, dafür den freien Warenverkehr von NGT 1-Pflanzen und damit auch deren Anbau einzuschränken.
„Kommt der Vorschlag durch, würde das Recht auf gentechnikfreie Erzeugung und das in der EU geltende Vorsorgeprinzip ausgehebelt“, kommentierte Annemarie Volling, Gentechnik-Expertin der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, den Entwurf. „Die Gentechnik-Konzerne bekämen einen Blankocheck, sie könnten ihre Gentechnik-Pflanzen ungeprüft, intransparent und unkontrolliert in unser Saatgut, auf unsere Äcker und Futtertröge bringen und sich ihre Profite sichern“, sagte Volling. „Der Entwurf der EU-Kommission ist unterm Strich desaströs für die mehr als 80 Prozent der Verbraucher*innen, die keine Gentechnik auf ihrem Teller wollen“, sagte Olaf Bandt, Vorsitzender des Umweltverbandes BUND. Der Vorschlag sei auch desaströs für die europäische Landwirtschaft, „denn die Bezeichnung ‚ohne Gentechnik‘ und die Unabhängigkeit von patentiertem Saatgut war für sie bisher ein Wettbewerbsvorteil“. Tina Andres, Vorsitzende des Bio-Dachverbandes BÖLW, sagte: „Der Gentechnik-Gesetzentwurf ist eine Ohrfeige für Verbraucherschutz und Wahlfreiheit und treibt Bauern durch Patente in die Abhängigkeit von Gentechnikkonzernen“. Die Kriterien, mit denen zwischen den zwei Kategorien unterschieden werde, seien nicht wissenschaftsbasiert sondern „völlig willkürlich gewählt“, kritisierte Andres. Bernd Rodekohr von der Aurelia-Stuftung verwies darauf, dass sich die großen Agrarkonzerne „bereits heute in großem Stil Gensequenzen, die in der Natur vorkommen, als 'Crispr'-Pflanzen patentieren“ ließen. Nicht die Gentechnik, sondern der Ökolandbau sei das einzig funktionierende System für eine nachhaltige Land- und Lebensmittelwirtschaft sagte Kathrin Jäckel, Geschäftsführerin des Bundesverbandes Naturkost Naturwaren.
Die Ampel-Parteien zeigte sich uneins. Der grüne Abgeordnete Kar Bär warnte im ZDF vor dem „Ende der ökologischen Landwirtschaft“, SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch sagte auf proplanta.de: „Das macht die SPD nicht mit“. Das von der FDP geführte Bundesforschungsministerium hingegen habe hingegen „grundsätzliche Unterstützung signalisiert“, meldete das ZDF.
Arc2020.eu schrieb zur Veröffentlichung der Vorschläge, diese befänden sich nun „in der sogenannten dienststellenübergreifenden Konsultation innerhalb der Generaldirektionen der Kommission und soll am 5. Juli vom Kollegium der Kommission angenommen werden“. In diesem Prozess könne sich der Text „in den nächsten Wochen noch ändern“. Die Kommission beschließt solche Vorlagen üblicherweise im Konsent. Besondere Bedeutung kommt dabei Kommissions-Vizepräsident Frans Timmermans zu. Er hat in den vergangeneen Wochen mehrfach betont, dass es eine NGT-Regelung nur gebe, wenn Europaparlament und Ministerrat auch den beiden EU-Vorschlägen zustimmen, die Pestizide reduzieren und die Natur wiederherstellen sollen. [lf]