++UPDATE++ 85 Prozent der Menschen in Deutschland fordern, dass Eier von Hühnern, die von gentechnisch veränderten Zuchthennen abstammen, als Gentechnik gekennzeichnet werden. Das ergab eine repräsentative Umfrage des Vereins Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG). 70 Prozent der 2500 Befragten gaben an, dass sie solche Gentechnik-Eier nicht kaufen würden. Die EU-Kommission wiederholte ihren Standpunkt, dass weder die Töchter der Gentechnik-Zuchthennen noch die von diesen gelegten Eier gentechnisch veränderte Organismen (GVO) seien.
Der Hintergrund der Umfrage: Das Unternehmen NRS Poultry will Gentechnik-Zuchthennen auf den Markt bringen, die mit Crispr/Cas gentechnisch so verändert wurden, dass keine männlichen Nachkommen schlüpfen. Sie sollen durch ein vererbtes tödliches Gen schon im Ei absterben. Die weiblichen Nachkommen dagegen entwickeln sich angeblich normal und sollen als Legehennen eingesetzt werden. Die Generaldirektion Gesundheit der EU-Kommission hatte im Juli 2021 in einem Schreiben an das deutsche Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit erklärt, dass für diese Eier und Legehennen weder Zulassungsverfahren noch Gentechnik-Kennzeichnung nötig wären. Eine Rechtsauslegung, die auf deutliche Kritik stieß, als sie Anfang März dieses Jahres öffentlich bekannt wurde. In einem Schreiben an die European Non-GMO Industry Association (ENGA) bestätigte die Generaldirektion Gesundheit im Februar ihre Position. ENGA-Generalsekretärin Heike Moldenhauer hält diese für sehr bedenklich: „Die EU-Kommission scheint sich ganz auf die Einstufung des Herstellers zu verlassen, der ein 100 prozentiges Funktionieren seines Produktes behauptet. Damit negiert sie geltendes Recht, nach dem eine dritte Instanz die Angaben des Herstellers zu überprüfen hat.“
VLOG-Geschäftsführer Alexander Hissting kommentierte die Umfrageergebnisse so: „Eier verstecken ist ein beliebter Oster-Brauch. Versteckte Gentechnik in den Eiern kommt dagegen gar nicht gut an.“ Die Umfrage zeige, dass die Menschen wissen wollen, wie ihre Lebensmittel hergestellt werden. Sollte allerdings die EU-Kommission mit ihren Plänen durchkommen, die Gesetze für Zulassung und Kennzeichnung von Gentechnik-Lebensmitteln aufzuweichen, würde versteckte Gentechnik zum Regelfall. Niemand wüsste mehr, was in seinem Essen steckt. „Wir erwarten, dass sich Cem Özdemir in Brüssel entschlossen gegen diese geplante Verbrauchertäuschung stark macht“, sagte Hissting an den Bundeslandwirtschaftsminister gerichtet.
Annemarie Volling, Gentechnik-Expertin der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), warf der EU-Kommission vor, sie wolle klammheimlich das Gentechnikrecht und das Vorsorgeprinzip außer Kraft setzen. „Wird im Züchtungsprozess Gentechnik eingesetzt, wie hier bei den mit Crispr veränderten Zuchthennen, dann müssen die Nachkommen auch der Gentechnik-Regulierung unterzogen werden. Das entspricht dem sogenannten prozessorientierten Ansatz, der in der EU-Gentechnik-Gesetzgebung festgeschriebenen ist“, erläuterte Volling. Im Sinne des Vorsorgeprinzips müssten Nachkommen von Hühnern, deren Gene mit neuen Technologien verändert wurden, sowie deren Eier auf mögliche Risiken geprüft und als Gentechnik reguliert werden. Nur so könne eine Risikoprüfung und -bewertung, aber auch eine Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung gewährleistet werden „und nur so wird auch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs von 2018 umgesetzt“, sagte Volling.
Bereits Anfang April hatte die EU-Kommission auf einen Brief der AbL und des Instituts Testbiotech geantwortet. Darin bestätigte sie ihre Auffassung, dass weder für die Nachkommen der Crispr-Hennen noch für deren Eier die Regeln des Gentechnikrechts gelten. Dabei geht die EU-Kommission von der Behauptung des Herstellers aus, dass die Nachkommen keine veränderten Gene enthielten. Außerdem schrieb sie, dass Eingriffe mit Crispr/Cas ins Erbgut weniger unerwünschte Nebenwirkungen verursachen würden als Mutationen in der konventionellen Züchtung. „Die EU-Kommission ignoriert jegliche wissenschaftliche Evidenz“, kommentierte Testbiotech das Schreiben. [lf]
Update 15.04.22: Schreiben der EU-Kommission an AbL und Testbiotech eingearbeitet.