Der Vorwurf der üblen Nachrede gegen Karl Bär, damals beim Umweltinstitut München, ist vom Tisch: Vor dem Landgericht Bozen zog der letzte verbliebene Kläger heute seine Anzeige gegen Bär zurück. Das Umweltinstitut will die Pestiziddaten aus dem Prozess nun mit den Südtiroler Obstbauern bei einer Veranstaltung diskutieren. Offen bleibt der Anklagepunkt der Markenfälschung. Das abschließende Urteil wird am 6. Mai 2022 erwartet.
Bär und der Buchautor AlexanderSchiebel hatten 2017 den massiven Pestizideinsatz beim Obstanbau in Südtirol deutlich kritisiert: Schiebel in seinem beim oekom Verlag erschienen Buch „Das Wunder von Mals“, Bär mit einer Kampagne für „Pestizidtirol“, bei der er die Südtiroler Tourismuswerbung aufs Korn nahm. Das brachte beiden Anzeigen des Südtiroler Landesrates für Landwirtschaft, Arnold Schuler, sowie von 1376 Landwirten ein. Schiebel war bereits im Mai 2021 freigesprochen worden. Im Lauf des Jahres zogen der Landesrat und fast alle Landwirte dann ihre Anzeigen gegen Bär zurück. Am heutigen Prozesstag willigte nun auch der letzte Kläger, Tobias Gritsch, ein, seinen Strafantrag zurückzunehmen. „Nach eineinhalb Prozessjahren ist es endlich so weit: Die Südtiroler Obstwirtschaft sucht den Dialog, statt an unhaltbaren Klagen festzuhalten“, kommentierte Karl Bär den Schritt. Damit ermögliche Gritsch eine konstruktive Diskussion außerhalb des Gerichtssaales.
Für diese Diskussion gibt es bereits einen konkreten Plan. Das Umweltinstitut teilte mit, es werte derzeit die Betriebshefte fast aller Obstbäuerinnen und -bauern aus, die ursprünglich Anzeige gegen Karl Bär erstattet hatten. Die Hefte enthalten Angaben darüber, welche und wie viel Pestizide die Landwirte im Jahr 2017 verwendet haben. Die Unterlagen wurden im Prozess dem Umweltinstitut auf Antrag der Staatsanwaltschaft als Beweismittel zur Verfügung gestellt. „Wir planen, die Ergebnisse der Auswertung dieser Daten über Pestizideinsätze auf einer gemeinsamen Veranstaltung mit Vertreter:innen der Obstwirtschaft in Südtirol zu präsentieren und gemeinsam zu diskutieren“, kündigte Bär an, der aktuell für die Grünen im Bundestag sitzt.
Doch einmal muss Bär noch vor Gericht erscheinen. Denn für die Pestizidtirol-Kampagne hatte er ein Plakat der Südtiroler Tourismuswerbung ironisch verfremdet. Aus dem Schriftzug Südtirol wurde „Pestizidtirol“. Dies trug ihm eine Anzeige wegen Fälschung der geschützten Wort-Bild-Marke „Südtirol“ ein. Noch ist also der Versuch der Südtiroler Landesregierung, Pestizidkritiker mundtot zu machen, nicht endgültig gescheitert. Im Oktober 2020 hatte der Europarat die Klagen gegen Pestizidkritiker in Südtirol als strategische Klage und damit als Angriff auf die Meinungsfreiheit eingestuft. Diese Art der Klagen wird in der Fachwelt als Strategic Litigation against Public Participation (SLAPP) bezeichnet. Die EU-Kommission erarbeitet derzeit eine Anti-SLAPP-Initiative, die Organisationen und Journalisten besser davor schützen soll, mit solchen Klagen mundtot gemacht zu werden. Am 1. Februar wird die Koalition gegen SLAPP in Europa (CASE) 185.000 in den letzten Monaten gesammelte Unterschriften an Vera Jourová, EU-Vizepräsidentin und Kommissarin für Werte und Transparenz übergeben. [lf]Umweltinstitut München: Teilerfolg im Südtiroler Pestizidprozess: Alle Anzeigen gegen Karl Bär wegen übler Nachrede zurückgezogen (28.01.2022)Umweltinstitut München: Pestizidrebellen vor Gericht. Die Webseite zum Thema.Webseite der Coalition Against SLAPPs in Europe (CASE)Infodienst: Erster Freispruch im Südtiroler Prozess gegen Pestizidkritiker (02.06.2021)