Schweiz GentechnikfreiDer Schweizer Verein für gentechnikfreie Lebensmittel hat die eidgenössische Volksinitiative „Für gentechnikfreie Lebensmittel (Lebensmittelschutz-Initiative)“ gestartet. Sie fordert strikte Regeln für den Einsatz neuer gentechnischer Verfahren (NGT) in der Schweizer Landwirtschaft, um Mensch, Tier und Umwelt zu schützen. Die Schweizer Regierung dagegen will eher dem Beispiel der EU-Kommission folgen. Wie die Schweiz NGT regeln wird, darüber wird am Ende des nun in Gang gesetzten Verfahrens das Volk entscheiden. Die Initiative will den Artikel 120 der Eidgenössischen Verfassung, der sich mit „Gentechnik im Außerhumanbereich“ befasst, um einige Regeln ergänzen. Sie stellen klar, dass neue gentechnische Verfahren (NGT) gleich zu behandeln sind wie die bisherige klassische Gentechnik. Auch sie sollen einem Bewilligungsverfahren unterliegen, in welchem die Risiken zu prüfen sind. Wer die damit hergestellten gentechnisch veränderten Organismen (GVO) vermarkten will, muss sie „zur Gewährleistung der Wahlfreiheit und der Rückverfolgbarkeit sowie zur Verhinderung von Täuschungen als solche kennzeichnen“. Der Bund muss mit einem Regelwerk sicherstellen, dass eine gentechnikfreie Landwirtschaft weiter stattfinden kann. Die Kosten der dafür notwendigen Koexistenzmaßnahmen tragen diejenigen, die solche GVO in Verkehr bringen. Außerdem dürfen Patente für NGT nicht auf Pflanzen und Tiere aus gentechnikfreier Züchtung ausgedehnt werden. Diese Grundregeln für den Umgang mit NGT stehen im Prinzip so im derzeitigen Schweizer Gentechnikgesetz (GTG). Dort ist auch das 2005 vom Volk beschlossene Moratorium für den kommerziellen Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen in der Landwirtschaft verankert. Das wurde bisher von der Bundesversammlung, dem Schweizer Parlament, alle fünf Jahre verlängert. Bei der jüngsten Verlängerung hat das Parlament den Bundesrat, die Schweizer Regierung, jedoch mit einer Liberalisierung des Gentechnikgesetzes für NGT beauftragt, die mit dem Auslaufen des Moratoriums Ende 2025 in Kraft treten soll. Den Gesetzentwurf dafür sollte der Bundesrat bis Mitte 2024 vorlegen, ist damit aber im Verzug. Die Lebensmittelschutz-Initiative will verhindern, dass NGT zukünftig ohne Risikoüberprüfung und Kennzeichnung auf den Markt kommen können – so wie die EU-Kommission das für die EU gerne hätte. Deshalb will sie mit ihrer Volksinitiative dafür sorgen, dass die wichtigsten Grundsätze des bestehenden Gentechnikgesetzes Verfassungsrang bekommen und auch für NGT gelten. Dann könnte das Parlament nicht mehr mit einer einfachen Gesetzesänderung Sonderregelungen für NGT erlassen. Weil das Moratorium voraussichtlich ausläuft, bevor die geänderten Gesetze und Verordnungen zur Koexistenz, zur Risikoprüfung, zur Kennzeichnung und zu den Nachweisverfahren vorliegen, sieht die Volksinitiative eine Übergangsregelung vor. Mindestens bis zum Inkrafttreten der Ausführungsbestimmungen zu den neu aufgenommenen Verfassungsartikeln „dürfen keine gentechnisch veränderten Organismen, die zu landwirtschaftlichen, gartenbaulichen oder forstwirtschaftlichen Zwecken bestimmt sind, in Verkehr gebracht werden“. Damit ist sichergestellt, dass das Moratorium so lange in Kraft bleibt, bis Regierung und Parlament ihre Hausaufgaben gemacht haben. Und durch das Wort „mindestens“ könnte das Parlament das Moratorium sogar weiter verlängern, wenn sich dafür eine Mehrheit findet. Einen Tag nach der Vorstellung der Volksinitiative teilte der Bundesrat mit, dass er bis Ende 2024 ein Spezialgesetz für NGT vorlegen will, so wie es die EU-Kommission für die EU plant. Allerdings wolle man in Abweichung zum EU-Entwurf stärkere Kontrollmechanismen einbauen, um den Bedenken der Bevölkerung Rechnung zu tragen. Die Schweizer Allianz Gentechfrei nannte die Kommunikation des Bundesrats „besorgniserregend“. Sie kritisierte, dass die Regierung neue Gentechnik jetzt als neue Züchtungsmethoden bezeichnet und als Ziel angibt, Handelshemmnisse zwischen der Schweiz und der EU vermeiden zu wollen. Am Freitag den 6. September verabschiedete die Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrates eine parlamentarische Initiative, mit der das Gentechnikmoratorium bis Ende 2027 verlängert werden soll. Der Nationalrat ist die erste Kammer des Schweizer Parlaments, der Ständerat die zweite. Beide Kammern müssten der Initiative zustimmen, damit sie Gesetz wird. Die Kommission begründete ihren Vorstoß mit der Regelungslücke, die durch die verspätete Vorlage des Gesetzentwurfs des Bundesrates entstehen würde. Martin Bossard, Co-Präsident des Vereins für gentechnikfreie Lebensmittel, warnte: „Was die nationalrätliche Kommission als Moratoriumsverlängerung verkauft, soll als politische Schlaftablette wirken, während mit einem Spezialgesetz die Verfassung ausgehebelt wird und Landwirte und Konsumentinnen schon bald vor vollendete Tatsachen gestellt werden“. „Das Risiko der neuen Gentechnik ist real. Es braucht deshalb klare Regeln, um Mensch, Tier und Umwelt vor Missbräuchen und gefährlichen Auswirkungen der Gentechnik zu schützen, wenn das Moratorium Ende 2025 zu Ende geht“, sagte Martina Munz, Präsidentin der Schweizer Allianz Gentechfrei (SAG). Die SAG gehört zu den 28 Organisationen, die die Volksinitiative unterstützen. Mit im Boot sind auch der Biodachverband Bio Suisse und andere Bio-Organisationen, die Kleinbauernvereinigung, mehrere Saatgutzüchter, die Hilfsorganisation Swissaid und Greenpeace. Sie alle haben ab jetzt 18 Monate Zeit, 100.000 Unterschriften für ihre Volksinitiative zu sammeln und sie von den jeweiligen Wohnortgemeinden der Unterzeichnenden bestätigen zu lassen. Mit einer erfolgreichen Initiative befasst sich laut Gesetz zuerst der Bundesrat. Er empfiehlt dem Parlament, ob es die Initiative annehmen oder ablehnen soll und kann auch einen Gegenentwurf mit in die parlamentarische Beratung geben. Deren Ergebnis ist eine Abstimmungsempfehlung (mit einem möglichen Gegenvorschlag) für die daran anschließende Volksabstimmung. Das ganze Prozedere kann sich, wenn Bundesrat und Bundesversammlung die gesetzlichen Fristen voll ausschöpfen, über mehrere Jahre hinziehen. Am Ende steht dann die Volksabstimmung, bei der die Volksinitiative angenommen ist, wenn sie sowohl schweizweit die Mehrheit der gültigen Stimmen bekommt als auch eine Mehrheit der gültigen Stimmen in einer Mehrheit der Kantone. Doch auch wenn die Volksabstimmung noch weit weg ist: Mit der Lebensmittelschutz-Initiative haben die gentechnikkritischen Organisationen in der Schweiz ihre Positionen auf die politische Agenda gesetzt und damit auch die Messlatte für den noch ausstehenden Gesetzesvorschlag des Bundesrates gelegt. Mit der in den nächsten Monaten anstehenden Unterschriftensammlung haben sie zudem ein Vehikel für die Öffentlichkeitsarbeit geschaffen und einen Strick, an dem alle gemeinsam ziehen. Für die anstehende NGT-Debatte in der Schweiz sind sie damit gut aufgestellt. [lf]