Auch Produkte, die mit neuen gentechnischen Verfahren (NGT) hergestellt werden, müssen nach EU-Recht umfassend gekennzeichnet werden. Darauf haben der Umweltverband Friends of the Earth Europe und die Verbraucherorganisation Foodwatch International in einem Briefing hingewiesen. Sie argumentieren darin, dass der Vertrag der Europäischen Union und das allgemeine Lebensmittelrecht der EU den Verbraucher:innen ein umfassendes Informationsrecht einräumten. Pläne der EU-Kommission, dieses Informationsrecht für NGT einzuschränken, wären ein Verstoß gegen diese beiden grundlegenden EU-Regelungen, schrieben die beiden Organisationen.
Noch ist unklar, welche Kennzeichungsregelungen für NGT-Produkte die EU-Kommission auf ihrer für den 5. Juli geplanten Veranstaltung vorlegen wird. Friends of the Earth Europe (FoEE) und Foodwatch beziehen sich in ihrem Briefing auf eine im April geleakte Zusammenfassung der Folgenabschätzung, die die EU-Kommission für ihren NGT-Vorschlag erarbeiten ließ. Das Portal Arc2020 hatte darüber berichtet. In der Folgenabschätzung wurden demnach zwei Option als wahrscheinlich genannt: NGT-Pflanzen, deren Änderungen theoretisch auch auf natürlichem Weg oder durch herkömmliche Züchtung entstanden sein könnten, müssten nur noch angemeldet und nicht mehr gekennzeichnet werden. Die anderen NGT-Pflanzen sollten so gekennzeichnet werden, dass die erwartete nachhaltige Eigenschaft der Pflanze in den Vordergrund gestellt wird.
Die erste Option würde laut Briefing dazu führen, dass die Rückverfolgbarkeit innerhalb der Produktionskette und damit die Transparenz für Landwirt: innen, Lebensmittelhersteller:innen und den Einzelhandel verloren geht. Für Verbraucher:innen wäre es unmöglich, eine gut informierte Entscheidung zu treffen. Bei der zweiten Option sei noch völlig unklar, wie die Kommission Nachhaltigkeit im Ernährungssystem überhaupt definiere und ob die so gelabelten Pflanzen tatsächlich einen nachweisbaren Nachhaltigkeitsbeitrag leisten könnten, heißt es im Briefing.
„Wenn die Europäische Kommission vorschlägt, NGT von der derzeitigen strengen Kennzeichnungsregelung auszunehmen, wären die Verbraucher:Innen nicht mehr in der Lage, fundierte Entscheidungen auf dem Markt zu treffen“, mahnt Heidi Porstner von Foodwatch International. Sie sieht darin einen Verstoß gegen zwei grundlegende EU-Regelungen. So verpflichtet Artikel 169 (1) des Vertrags über die Europäische Union die EU dazu, ein hohes Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten und das Informationsrecht der Verbraucher:innen zu fördern. In der Verordnung 178/2002, dem allgemeine Lebensmittelrecht der EU, steht in Artikel 8: „Das Lebensmittelrecht hat den Schutz der Verbraucherinteressen zum Ziel und muss den Verbrauchern die Möglichkeit bieten, in Bezug auf die Lebensmittel, die sie verzehren, eine sachkundige Wahl zu treffen“. In der Begründung zur Verordnung steht im 12. Erwägungsgrund: „Um Lebensmittelsicherheit gewährleisten zu können, müssen alle Aspekte der Lebensmittelherstellungskette als Kontinuum betrachtet werden, und zwar von der Primärproduktion und der Futtermittelproduktion bis hin zum Verkauf bzw. zur Abgabe der Lebensmittel an den Verbraucher, da jedes Glied dieser Kette eine potenzielle Auswirkung auf die Lebensmittelsicherheit haben kann“. Aus dieser Überlegung heraus sieht die Verordnung 178/2002 eine allgemeine Rückverfolgbarkeit vor. „Die Rückverfolgbarkeit von Lebensmitteln und Futtermitteln (...) ist in allen Produktions-, Verarbeitungs- und Vertriebsstufen sicherzustellen“, steht dazu in Artikel 18. Auch für NGT-Produkte müsse die Rückverfolgbarkeit vom Saatgut bis zum Lebensmittel sichergestellt sein, heißt es dazu im Briefing.
Die bisherige Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel im Regal hat dazu geführt, dass diese Produkte in der EU mangels Nachfrage nicht angeboten werden. Weil sie für küftige NGT-Lebensmittel eine ähnliche Ablehnung fürchteten, hätten die großen Gentechnik-Konzerne eine NGT-Kennzeichnung gerne verhindert. Die EU-Kommission wolle die Verbraucher:innenrechte auf Transparenz und Information den Geschäftsinteressen der Konzerne opfern, brachte FoEE-Campaignerin Mute Schimpf das im Briefing auf den Punkt. Doch inzwischen hat der Gentechnik-Konzern Corteva anscheinend eingesehen, dass mit einer solchen Politik bei den europäischen Verbraucher:innen nichts zu gewinnen ist. Das Magazin Politico zitierte laut GMWatch die Corteva-Managerin Teresa Babuscio mit den Worten: „Wir verpflichten uns, die Züchtungsmethoden, mit denen das Saatgut verfügbar gemacht wird, freiwillig offen zu legen“. Auf diese Weise wolle das Unternehmen sicherstellen, dass die Landwirte „den Mehrwert vermarkten können, den NGT für die Ernte bringt.“ Möglich sei eine Kennzeichnung mit Etiketten oder Strichcodes auf den Saatgutsäcken. Das solle auch Bedenken zerstreuen, dass der Einsatz von gentechnisch verändertem Saatgut Auswirkungen auf Sektoren wie den ökologischen Landbau haben könnte, sagte Babuscio.
Die Ankündigung von Corteva zeigt, dass selbst Gentechnikkonzerne die Argumente nicht (mehr) teilen, mit denen die EU-Kommission die Kennzeichnungspflicht für NGT abschaffen will. Allerdings ist eine freiwillige und jederzeit widerrufbare Kennzeichnung auf der Saatgutebene kein Ersatz für eine gesetzliche Regelung für die gesamte Lebensmittelkette, wie sie das EU-Gentechnikrecht vorsieht. „Überzeugender wäre eine öffentliche Erklärung, dass Corteva die derzeitigen Kennzeichnungsvorschriften auch für neue GVO beibehalten will“, zitierte GMWatch die FoEE-Campaignerin Mute Schimpf aus der Politico-Meldung. [lf]