Anfang Juni plant die Europäische Kommission einen Vorschlag vorzulegen, wie sie neue gentechnische Verfahren wie Crispr/Cas in der Pflanzenzüchtung künftig regulieren will. Über diesen müssen dann die EU-Mitgliedsstaaten abstimmen. In der deutschen Ampelkoalition mehren sich die Stimmen, die neuen Technologien genauso streng zu regeln wie alte Gentechnik. Auch die Bevölkerung ist mehrheitlich dafür.
Vom grünen Koalitionspartner hat vergangene Woche Bundesumweltministerin Steffi Lemke bei einem Agrarkongress bekräftigt: „Wir müssen weg von der industrialisierten Landwirtschaft, die durch Gentechnik, seien es klassische oder neue gentechnische Methoden, noch befeuert werden soll, hin zu einem ganzheitlich nachhaltigen System. Da weist das Bestreben der EU-Kommission, für Pflanzen, die mit neuen Gentechniken hergestellt sind, die Risikoprüfung wegzulassen leider nicht den richtigen Weg“, gab die Agraringenieurin die Richtung vor. „Wenn wir mit dieser Technologie arbeiten, muss das Vorsorgeprinzip und die Risikoprüfung beibehalten werden“, forderte Lemke.
Ähnlich hatte sich Anfang Dezember gegenüber dem Infodienst auch eine Sprecherin des Agrarministeriums geäußert: „Für das BMEL ist der Ökolandbau das Leitbild einer nachhaltigen Landwirtschaft. Der Einsatz von Agro-Gentechnik ist dabei nicht vorgesehen“, versicherte sie auf Anfrage. Was mit neuen gentechnischen Verfahren gezüchtete Pflanzen angehe, wolle das BMEL an einem europarechtlichen Zulassungsverfahren mit Risikoprüfung im Einzelfall, an der stringenten Kennzeichnungspflicht und der Nachverfolgbarkeit festhalten. Von Agrarminister Cem Özdemir selbst waren so klare Äußerungen bislang allerdings nicht zu hören. Bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Steffi Lemke wiederholte er auch ein Jahr nach seinem Amtsantritt erneut, dass er sich zur Regulierung neuer Gentechnik noch eine Meinung bilden müsse. Immerhin geht er inzwischen davon aus, dass die Technologien nicht für zeitnahe Lösungen taugen und es „töricht“ wäre, sich auf „ferne Heilsversprechen“ zu verlassen. Stattdessen will er einstweilen die biologische Pflanzenforschung stärker fördern.
Auch seine SPD-Kollegin Svenja Schulze stellte vergangene Woche im Bundestag klar: "Es gibt keine gentechnisch veränderten Pflanzen, die den Hunger in der Welt wirklich bekämpfen. Was hilft, ist, lokal angepasste, regionale Pflanzensorten zu fördern… und deswegen werden wir das weiter unterstützen“, sagte die Entwicklungsministerin bei einer Regierungsbefragung. Süffisant hatte der CDU-Abgeordnete Thomas Rachel zuvor gefragt, ob Frau Schulze das Bestreben des Koalitionspartners FDP unterstütze, das europäische Gentechnikrecht zu liberalisieren. Das wies Schulze deutlich zurück. Es ist derzeit also nicht erkennbar, dass die Ampelkoalition sich beim Thema neue Gentechnik wie angekündigt auf einen Kompromiss zubewegt. Und sollte sie keinen finden, wird sich Deutschland bei der Abstimmung über einen Regelungsvorschlag der EU-Kommission, die schon Ende des Jahres anstehen könnte, enthalten müssen.
Das wäre jedoch nicht im Sinne der deutschen Bevölkerung. Bei einer Umfrage des Verbands Lebensmittel ohne Gentechnik sprachen sich kürzlich 58 Prozent dagegen aus, dass Deutschland einer Senkung der Gentechnik-Standards durch die EU-Kommission zustimmt. Auch vor der traditionellen „Wir haben es satt“-Demonstration vergangenen Samstag unterzeichneten mehr als 120 Organisationen – von ADFC bis Zukunftsstiftung Landwirtschaft – ein 6-Punkte-Papier, das unter anderem fordert, eine gentechnikfreie Landwirtschaft zu sichern. Etwa 10.000 Menschen gingen dafür auf die Straße. Und schließlich überreichte eine Bündnis internationaler Organisationen Agrarminister Cem Özdemir einen Aufruf an die zeitgleich stattfindende Internationale Agrarminister:innenkonferenz (GFFA). Darin fordern sie „Bestrebungen, Produkte der neuen Gentechnik zu deregulieren, wie es in der EU und verschiedenen Staaten derzeit diskutiert wird, einzustellen…. Wir erwarten eine klare Haltung des GFFA und von Minister Özdemir zum Schutz der Gentechnikfreiheit - weltweit!“ [vef]