Sitzungssaal des italienischen Parlaments Foto:  Quirinale.it, Attribution, via Wikimedia Commons180 Grad-Wende in der italienischen Gentechnik-Politik: Die rechtspopulistische Regierungsmehrheit erlaubt Feldversuche mit Pflanzen, die durch neue gentechnische Verfahren erzeugt wurden. Bei der Zulassung der Versuche müssen bestimmte Risiken nicht mehr bewertet werden. 20 Jahre lang waren Feldversuche mit Gentechnik-Pflanzen in Italien komplett verboten. Die gentechnikkritischen Organisationen äußerten sich entsetzt – auch über das Schweigen der Opposition im Parlament. Die umstrittene Regelung kam durch die Hintertür ins Parlament. Dieses sollte ein Regierungsdekret mit Maßnahmen zur Dürrekatastrophe in ein Gesetz umwandeln. Dabei fügten Abgeordnete der Regierungsparteien einen zusätzlichen Artikel ein. Er erlaubt Feldversuche mit Pflanzen, deren Erbgut durch neue gentechnische Verfahren (NGT) verändert wurde. Beschränkt sind die Eingriffe auf zielgerichtete Mutationen und Cisgenese, also Erbgutveränderungen, die innerhalb einer Art vorkommen. Als Fachbehörde soll die zentrale italienische Umweltbehörde ISPRA die Anträge bewerten. Für das gesamte Zulassungsverfahren addieren sich die im Artikel genannten Fristen auf gut zwei Monate. Damit es so schnell gehen kann, streicht der Artikel die in einem Gesetz von 2003 verlangten Risikobewertungen für die Artenvielfalt, das landwirtschaftliche System und die Lebensmittelkette. Die neue Regelung gilt vorerst bis Ende 2024, danach soll das Parlament über das weitere Vorgehen entscheiden. Sowohl der Senat als auch die Abgeordnetenkammer stimmten dem derart ergänzten Gesetz zu. Landwirtschaftsminister Francesco Lollobrigida sprach von einer Vorreiterrolle Italiens und schwärmte von Pflanzen, die widerstandsfähiger gegen Trockenheit und klimatische Veränderungen seien. „Deshalb ist es notwendig, ohne Ideologien und Vorurteile zu investieren und sich bewusst zu machen, dass es sich nicht um GVO handelt“, zitierte ihn die Zeitung La Stampa. Deshalb hat die neue Gentechnik in Italien von der Regierung einen eigenen Namen bekommen. Sie spricht von „Unterstützten Evolutionstechniken“ (italienisch: Tecniche di Evoluzione Assistita - TEA). „Italien gibt damit seine seit 20 Jahren verfolgte Linie einer strikt GVO-freien Landwirtschaft auf“, kommentierte die aus 37 Organisationen bestehende Koalition GVO-freies Italien und verspricht: „Unsere Verbände werden nicht tatenlos zusehen.“ Man werde den Bürger:innen mitteilen, welche Einzelpersonen und Parteien „Vorschriften aufheben, die der Mehrheit der italienischen Bürger, die gegen GVO sind, am Herzen liegen“. Das zielt nicht nur gegen die regierende Rechte. „Mit Ausnahme der Fraktion der Grünen und Linken (Alleanza Verdi-Sinistra) hätten alle Oppositionsparteien geschwiegen, ärgert sich das Bündnis. Seine Hoffnung setzt es auf die Präsidenten der italienischen Regionen, die sich fast alle vor Jahren als gentechnikfrei erklärt hatten. „In dieser Frage, die die Agrarsysteme der einzelnen Regionen betrifft, haben die lokalen Behörden das Recht, das Verfassungsgebot bezüglich ihrer Befugnisse in der Agrarpolitik zu verteidigen“, heißt es in einer Stellungnahme des Bündnisses. Aus dessen Sicht sind dürreresistente Pflanzen nur ein vorgeschobenes Argument. In Wahrheit solle das Gesetz „die Kontrolle der Lieferketten der Agrar- und Ernährungswirtschaft durch multinationale Konzerne und mächtige Agrarunternehmen stärken, zum Nachteil der Landwirte, die nun zu bloßen Funktionsarbeitern für die enormen Profite einer Minderheit degradiert werden“. Dass dürreresistente NGT-Pflanzen in Italien nicht so schnell zu erwarten sind, bestätigte Luigi Cattivelli vom italienischen Agrarforschungszentruminstitut Crea. Die italienische Ausgabe von Wired zitiert den gentechnikbegeisterten Forscher mit den Worten: „Bei der Trockenheit ist es komplizierter, denn es handelt sich um ein sehr schwieriges Merkmal, bei dem nicht nur ein einziges Gen im Spiel ist.“ Im Moment gebe es erst einige Hinweise und es sei noch viel Arbeit zu leisten. [lf]