Aktuelle Beiträge des Informationsdienst Gentechnik

Drittes Glyphosat-Urteil: Bayer muss Krebskranken mehr als 1,8 Milliarden Euro bezahlen

Ein Gericht des US-Staates Kalifornien hat im dritten Glyphosat-Prozess die Bayer-Tochter Monsanto zu umgerechnet 1,83 Milliarden Euro Schadenersatz verurteilt. Es ist der höchste Strafschadenersatz der drei bisher entschiedenen Gerichtsverfahren. Der Konzern will in Berufung gehen.

Geklagt hatten Alva und Alberta Pilliod, ein Rentnerehepaar aus Livermore, einer Kleinstadt 70 Kilometer östlich von San Francisco. Beide sind Mitte 70 und an Lymphdrüsenkrebs erkrankt. Für diesen machen sie das jahrzehntelang von ihnen benutzte Monsanto-Herbizid Roundup verantwortlich. Die Jury folgte ihrer Argumentation und sprach ihnen 49 Millionen Euro Schadenersatz für ihre persönlichen Nachteile (Arztkosten, Schmerzensgeld und ähnliches) zu. Die Geschworenen kamen auch zu dem Schluss, der Hersteller sei für diese Krebserkrankungen haftbar zu machen. Sie fanden außerdem, Monsanto habe nicht ausreichend vor den Risiken der Produkte gewarnt und mit „Arglist, Unterdrückung oder Betrug“ gehandelt. Deshalb verhängten sie zusätzlich einen so genannten Strafschadenersatz in Höhe von 1,78 Milliarden Euro. Auch für US-Prozesse ist dies eine erstaunlich hohe Summe, die vermutlich später noch nach unten korrigiert werden wird. Dennoch ist der dritte verlorene Prozess ein deutliches Signal für die noch anstehenden 13.400 Klagen gegen Monsanto. Allein vor dem Gericht in Oakland, in dem der Fall des Ehepaars Pilliod verhandelt wurde, sind 250 Klagen anhängig.
„Das heutige Urteil hätte nicht deutlicher ausfallen können“, sagte Klägeranwalt Brent Wisner. Bayer müsse sein Verhalten ändern, so könne der Konzern nicht weitermachen, appellierte er. Bayer kündigte an, Rechtsmittel einzulegen. Der Konzern hält das Herbizid Glyphosat nach wie vor für sicher und macht für die Krebserkrankungen der beiden Kläger umfangreiche Vorerkrankungen verantwortlich. Das Urteil dürfte den Druck auf den Konzern erhöhen, in Vergleichsverhandlungen einzutreten, die der Richter im zweiten Glyphosatprozess bereits Mitte April vorgeschlagen hatte. [lf]U.S. Right to Know: Monsanto Ordered to Pay $2 Billion to Cancer Victims (13.05.2019)Frankfurter Allgemeine Zeitung: Milliardenurteil gegen Bayer (14.05.2019)Bayer AG: Entscheidung der Jury in Glyphosat-Prozess im US-Bundesstaat Kalifornien (13.05.2019)Infodienst: US-Gericht: Bayer soll mit Glyphosat-Klägern Vergleich schließen (12.04.2019)

mehr lesen

Europas Behörden können neue Gentechnik nicht kontrollieren

Würde ein Schiff im Hamburger Hafen illegal Sojaschrot aus den USA entladen, dessen Bohnen mit der neuen gentechnischen Methode TALEN verändert wurden, die deutschen Behörden könnten das derzeit nicht feststellen. Dass sie wegen fehlender Nachweismethoden ihren Kontrollpflichten nicht gerecht werden können, darauf wiesen einige Länder Europas nach Insiderinformationen bei einem Arbeitstreffen Ende April hin.
Deshalb könnten sie auch nicht in allen Fällen verantwortlich gemacht werden, wenn es ihnen nicht gelänge, den Import geneditierter Pflanzen ohne die gesetzlich vorgeschriebene Zulassung zu verhindern. Die Soja der Firma Calyxt, die US-Behörden nicht als gentechnisch verändert (gv) einstufen, dürfte nach europäischem Recht nur mit einer Genehmigung für gv-Futtermittel importiert werden.
Hintergrund ist ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom Sommer 2018. Danach gelten auch für Pflanzen (und Tiere), die mit neuen gentechnischen Methoden wie TALEN oder Crispr-Cas verändert wurden, die Regeln für Gentechnik. Das heißt, sie müssen auf Risiken geprüft, genehmigt und gekennzeichnet werden sowie nachverfolgbar sein. Auch zehn Monate nach diesem rechtskräftigen Urteil wird in Deutschland und Europa immer noch über die Konsequenzen diskutiert. Nächster Termin dafür ist ein Treffen der europäischen Agrarminister kommende Woche in Brüssel.
In Deutschland streiten sich wie üblich das Agrar- und das Umweltressort: Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) versicherte diese Woche im Bundestag erneut, dass sie die Ansicht des EuGH teilt. Einmal ins Freiland entlassen, seien gentechnische Verände­rungen nie wieder zurückzuholen. Daher müssten ihre Risiken sorgfältig geprüft werden. Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) plädierte dagegen bei einer Veranstaltung dafür, offen für neue Technologien der Pflanzenzüchtung zu sein. Von Anfang an machte sie keinen Hehl daraus, dass sie das EuGH-Urteil ablehnt. Die Diskussion der Bundesregierung zu den Konsequenzen aus dem Richterspruch sei noch nicht abgeschlossen, teilte eine Sprecherin des Umweltministeriums dem Infodienst gestern auf Anfrage mit. Und wenn keine Einigkeit erzielt wird, kann die deutsche Agrarministerin sich nächste Woche in Brüssel auch nicht positionieren.
Sie kann offenbar nicht einmal Fragen beantworten. „Die Abstimmung der im Vorfeld von der Kommission gestellten Fragen zur Implementierung des EuGH-Urteils zu Mutagenesemethoden innerhalb der Bundesregierung ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen“, beschied das Agrarministerium diese Woche eine Anfrage der Grünen. Wie aus gut informierten Kreisen verlautete, haben die deutschen Bundesländer mitgeteilt, dass sie sich derzeit nicht in der Lage sehen, Genveränderungen, die mit neuen Technologien erzielt wurden, nachzuweisen.
Solche Nachweismethoden können dem Vernehmen nach jedoch entwickelt werden, wenn den Behörden Referenzmaterial der veränderten Pflanzen und Informationen über die Genveränderung zur Verfügung stehen. Die Mitglieder Arbeitsgruppe vom April wünschen sich daher eine Datenbank, in die alle europäischen Staaten ihre Informationen über sogenannten genomeditierte Pflanzen einspeisen. Auch die Daten der Patentämter, bei denen solche Pflanzen häufig angemeldet werden, sollen genutzt werden. Es gibt für die europäischen Agrarminister also einiges zu tun.
Dass die Bundesregierung dabei wenig handlungsfähig ist, wird von der Opposition heftig kritisiert. Das Urteil des EuGH sei klar, der Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD auch, meint der grüne Bundestagsabgeordnete Harald Ebner. „Agrarministerin Klöckner stellt den vermeintlichen Konsens aber massiv in Frage“, monierte der Gentechnikexperte. „Nachdem ihre Umwelt-Kollegin Schulze jetzt wenigstens eindeutig Stellung gegen Crispr bezogen hat, hat Klöckner definitiv kein Mandat, sich in Brüssel für eine Aufweichung der Gentechnik-Regeln einzusetzen.“ Im Übrigen sei es befremdlich, dass die EU-Staaten jetzt in Hinterzimmer-Meetings und Ministerräten meinen darüber beraten zu müssen, wie sie mit einem Urteil ‚umgehen‘ sollen, das doch vollkommen klar ist.
Auch die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft kritisierte: „Gentechnik durch die Hintertür ist höchst undemokratisch. CRISPR & Co. sind noch sehr junge Techniken, mit denen es keinerlei Erfahrungen auf dem Acker gibt, geschweige denn eine systematische Risikoprüfung“, erklärte Gentechnik-Expertin Annemarie Volling. Die Gentechnik-Konzerne und deren Lobbyisten wollten aber mit allen Mitteln verhindern, dass Crispr & Co. gekennzeichnet und reguliert werden, um ungestört ihre Profitinteressen durchsetzen zu können. [vef]Europäischer Rat: Rat „Landwirtschaft und Fischerei“, Tagesordnung für den 14.05.2019Press background: Agriculture and Fisheries Council (7. Mai 2019)Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 19/79 (8. Mai 2019)Antworten des Bundeslandwirtschaftsministeriums auf Fragen des grünen MdB Harald Ebner (6. Mai 2019)Medieninfo AbL e.V.: Gentechnik durch die Hintertür ist undemokratisch (9.5.2019)Infodienst – Genome Editing: USA lassen Vermarktung ohne Risikoprüfung zu (18.03.2019)

mehr lesen

Europa: Zulassung von Gentech-Pflanzen wird transparenter

Gefährdet eine gentechnisch veränderte (gv) Pflanze Gesundheit oder Umwelt? Wer dazu etwas wissen will, kann diverse Informationen zur behördlichen Risikobewertung vom kommenden Jahr an in einer öffentlichen Datenbank einsehen, entschied kürzlich das Europäische Parlament. Diese Transparenz endet allerdings dort, wo die Industrie darlegt, dass die Veröffentlichung bestimmter Angaben ihren wirtschaftlichen Interessen erheblich schaden könnte.
Solche heiklen Informationen können etwa den Herstellungsprozess betreffen, heißt es in der neuen Verordnung, welche die Zulassung von gv-Pflanzen und –Tieren, Pestiziden und Lebensmitteln für die Bürger nachvollziehbarer machen soll. Als Beispiel nennt sie technische Innovationen oder betriebliche Besonderheiten, die auf Antrag in der Veröffentlichung geschwärzt werden können. Das gelte jedoch nicht für Angaben, die erforderlich sind, um die Sicherheit eines Produkts zu bewerten.
Bei gv-Pflanzen war umstritten, ob die Agrarkonzerne Informationen zu DNA-Sequenzen zurückhalten dürfen. Nach der Verordnung ist das nun möglich, solange die Sequenzinformationen nicht nötig sind, um die gentechnische Veränderung der Pflanze zu identifizieren, nachzuweisen oder zu quantifizieren. Auch Zuchtstrategien und –profile können danach geheimgehalten werden. Das sei ein Wunsch der EU-Kommission gewesen, erklärte der grüne EU-Abgeordnete Martin Häusling. Er hätte das gerne verhindert, fand dafür aber keine Mehrheit im Parlament. Auch der Geschäftsführer der Organisation Testbiotech, die im Vorfeld ein Rechtsgutachten dazu erstellen ließ, sieht die Regelung kritisch: „Für die Beurteilung der Risiken ist es zwingend notwendig, dass genaue Daten darüber veröffentlicht werden, was genau in den jeweiligen Organismen gentechnisch verändert wurde“, sagte Christoph Then.
Generell können laut Verordnung Informationen zur Zusammensetzung von Stoffen sowie zu wirtschaftlichen Verbindungen zwischen den Akteuren, zu Marktanteilen oder Geschäftsstrategien zurückgehalten werden. Sind jedoch öffentliche Gesundheit, Tiergesundheit oder Umwelt betroffen, oder muss schnell gehandelt werden, müssen die Hersteller auch diese Informationen offenlegen, erläuterte Häusling.
Nach der massiven öffentlichen Kritik an personellen Verflechtungen und Abhängigkeiten zwischen Industrie, wissenschaftlichen Gutachtern und Behörden, müssen nach der neuen Verordnung auch Informationen zu diesen Themen publik gemacht werden. So muss die europäische Lebensmittelbehörde EFSA ihre Entscheidungsprozesse transparent machen, indem sie Tagesordnungen, Teilnehmerlisten, Protokolle des Verwaltungsrates, von Ausschüssen und Arbeitsgruppen veröffentlicht. Hat die EFSA eine Studie publiziert, können externe Wissenschaftler damit beauftragt werden, diese mit anderen Daten abzugleichen.
„Es ist uns gelungen, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen Transparenz und den Interessen der Industrie zu finden, um die Innovation im EU-Nahrungsmittelsektor weiter zu fördern“, zitierte das Portal Euractiv die konservative spanische Europa-Abgeordnete Pilar Ayuso. Sie hatte das Amt der Berichterstatterin für die Verordnung von der CDU-Abgeordneten Renate Sommer übernommen, die es – empört über den “populistischen Kommissionsvorschlag“ und eine angebliche Gefahr für Innovation und Arbeitsplätze in Europa – im Dezember niedergelegt hatte.
Der Parlamentsbeschluss „markiert einen wichtigen Moment in der Geschichte der EFSA und gibt uns eine Rechtsgrundlage, um unsere Wissenschaft transparenter und nachhaltiger zu machen“, lobte dagegen Bernhard Url, geschäftsführender Direktor der EFSA, gegenüber Euractiv. Zugleich mahnte er an, dass seine Behörde jetzt auch genügend Kapazitäten brauche, um die Neuerungen umzusetzen. EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis begrüßte es, dass die EU-Gremien sich am Ende einig wurden. Er erinnerte daran, dass der Verordnungsvorschlag auch eine Folge der Europäischen Bürgerinitiative „Stop Glyphosate“ war. Mit 1,4 Millionen Unterschriften hatte die Initiative nach dem Glyphosat-Debakel 2017 gefordert, die Zulassung von Pestiziden zu reformieren. „Der immense öffentliche Druck hat gewirkt und macht die Veröffentlichung aller Studien vor der Zulassungsentscheidung über giftige Stoffe wie Glyphosat zum Gesetz“, freute sich Martin Häusling. Nun muss der Verordnung – pro forma – noch der Europäische Rat zustimmen. [vef]Änderungsantrag des Europäischen Parlaments zur Verordnung über die Transparenz und Nachhaltigkeit der EU-Risikobewertung im Bereich der Lebensmittelkette (10.4.2019)EURACTIV.de: Viel Lob für verbesserte Lebensmittelsicherheit in der EU (18.4.2019)Martin Häusling: Briefing zur zukünftigen EU-Verordnung über ‚Transparenz und Nachhaltigkeit der EU-Risikobewertung im Bereich der Lebensmittelkette‘ (12.02.2019)Testbiotech: EU-Parlament für Transparenz und Nachhaltigkeit der EU-Risikobewertung im Bereich der Lebensmittelkette (17.4.2019)Renate Sommer auf Facebook: Brief aus Straßburg Dezember 2018 (14.12.2018)Martin Häusling – Lebensmittelrecht: Transparenzlücke bei Zulassung von Pestiziden und Gentechnik geschlossen (17.4.2019)

mehr lesen

Aktionäre verweigern dem Bayer-Vorstand die Entlastung

Auf der Hauptversammlung des Bayer-Konzerns stimmten 55,5 Prozent der Aktionäre gegen die Entlastung des Vorstands. Doch der Aufsichtsrat stärkte Bayer-Chef Baumann demonstrativ den Rücken. Rechtliche Folgen hat das Misstrauensvotum der Aktionäre nicht.

Es war das allererste Mal in der Geschichte der großen deutschen Konzerne, dass die Aktionäre einen amtierenden Vorstand nicht entlasteten. Nach einer 12-stündigen Debatte mit 60 meist kritischen Redebeiträgen stimmten am Freitagabend 55,5 Prozent der Aktionäre für einen entsprechenden Antrag. Der Antrag, auch dem Aufsichtsrat die Entlastung zu verweigern, wurde mit 66 Prozent der Stimmen abgelehnt. Auch diese geringe Zustimmung gilt als deutliches Misstrauensvotum. Rechtliche Konsequenzen hat die verweigerte Entlastung keine. Auch habe es von den Baumann-Kritikern keine Rücktrittsforderungen gegeben, berichtete Dow Jones Newswire. Dekabank-Fondsmanager Ingo Speich habe sogar davor gewarnt, die Führungsriege zum aktuellen Zeitpunkt auszutauschen. Ein neues Management müsse sich erst einarbeiten. „Niemand kann wollen, dass neben all dem Chaos auch noch das Tagesgeschäft brachliegt“, sagte Speich.

Nach der sensationellen Niederlage des Vorstands trat der Aufsichtsrat noch in der Nacht zu einer Sondersitzung zusammen und stellte sich einstimmig hinter den angeschlagenen Bayer-Chef Werner Baumann und die Monsanto-Übernahme. „Wir nehmen das Abstimmungsergebnis der Hauptversammlung sehr ernst“, erklärte Aufsichtsratschef Werner Wenning. Das Gremium werde den Vorstand dabei unterstützen, das Vertrauen der Aktionäre in das Unternehmen und seine Strategie „schnellstmöglich und vollständig wieder zurückzugewinnen“. Höchste Priorität habe dabei „die entschiedene und erfolgreiche Verteidigung in den anstehenden Berufungsverfahren und Gerichtsverhandlungen zu Glyphosat.“ Die Zahl der Verfahren hat weiter zugenommen. Am 11. April waren es nach Angaben von Bayer 13.400 Klagen, 2.200 mehr als im Januar dieses Jahres.

Scharfe Kritik an Baumann gab es nicht nur in der Hauptversammlung, sondern auch davor. Imker, Naturschützer, Menschrechtler und viele andere Organisationeen protestierten vor der Versammlungshalle gegen die Politik des Bayer-Konzerns. Mit dabei waren auch Jugendliche der Friday for Future-Bewegung. Sie thematisierten die Klimaschäden, die der Konzern und desssen Produkte anrichten. [lf]Finanznachrichten: Aktionäre entziehen Bayer-Führung das Vertrauen (27.04.2019)Welt: Historische Generalabrechnung – Bayer-Chef nicht entlastet (27.04.2019)Manager-Magazin: Aktionäre rebellieren gegen Bayer-Chef Baumann – Aufsichtsrat stützt ihn (27.04.2019)Bayer AG: Bayer-Aufsichtsrat steht geschlossen hinter dem Vorstand (27.04.2019)BUND e.V.: Rede der BUND-Gentechnikexpertin Daniela Wannemacher bei der Hauptversammlung der Bayer AG am 26.4.2019 in Bonn.AbL e.V.: „Herr Baumann: Mit voller Hose gewinnen Sie keinen Marathon für gesunde Lebensmittelerzeugung“ (26.4.2019)

mehr lesen

Europa: Ist Crispr-Cas nach der Wahl keine Gentechnik mehr?

Angesichts sinkender Erträge bei der Weizenernte will Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) künftig stärker auf gentechnisch veränderte Pflanzen setzen. Sie nennt sie allerdings nicht so. Wenn das Erbgut von Pflanzen mit der Crispr-Technologie verändert werde, sei das eine „neue Züchtungsmethode“, sagte sie heute in einem Interview mit der Funke-Mediengruppe.
Die grüne Gentechnik – also ihr Einsatz in der Landwirtschaft – werde in Deutschland nicht akzeptiert, konstatierte die Ministerin. „Das muss man hinnehmen.“ Mit dem Crispr-Verfahren, auf das sie große Hoffnungen setze, könne man das Erbgut von Pflanzen aber gezielter und schneller positiv beeinflussen, als das durch klassische Züchtung gehe, behauptete die Ministerin. Die Interviewer wunderten sich: „Der Europäische Gerichtshof (EuGH) stuft auch das als Gentechnik ein“, hielten sie der Ministerin entgegen. Darauf Klöckner: „Damit müssen wir umgehen.“
Damit umschreibt sie, was sie von dem Urteil der obersten europäischen Richter hält: nichts. Bereits im September 2018 hatte sie es als „sachlich falsch“ bezeichnet, die Crispr-Technologie mit der Gentechnik „in einen Topf zu werfen“, wie es der EuGH im Juli getan hatte. Schon damals sprach sie davon, dass Gesetze geändert werden könnten, und wollte die Diskussion auf europäischer Ebene vorantreiben. Dass sie das jetzt kurz vor der Europawahl tut, ist vermutlich kein Zufall. Wobei sich die CDU in ihrem EU-Wahlprogramm nicht zum Thema Gentechnik positioniert. Klöckner bläst damit aber ins gleiche Horn wie der sozialdemokratische EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis. Er hatte Ende März gesagt, die „neuen Pflanzenzüchtungstechniken“ brauchten eine neue EU-Gesetzgebung, welche die neuesten Technologien berücksichtige. Gegenüber dem Nachrichtenportal Euractiv ergänzte Andriukaitis, dass sie von der neuen Europäischen Kommission nach den EU-Wahlen im Mai geregelt werden sollten.
Auch der stellvertretende Vorsitzende des Agraraussschusses im Europäischen Parlament erwartet in der nächsten Legislaturperiode eine solche Diskussion. „Das nächste Parlament wird bald feststellen, dass nach dem Urteil des EuGH eine erneute Gesetzgebung zu diesem Thema erforderlich sein wird“, prognostizierte Paolo De Castro, der nicht mehr kandidieren will. Der genetische Schutz von Pflanzen werde in der Landwirtschaft der Zukunft immer wichtiger werden – wichtiger als die Chemie, so der Sozialdemokrat gegenüber Euractiv.
Wie Ministerin Klöckner ist er der Ansicht, dass neue Technologien wie Crispr-Cas dazu beitragen könnten, den Einsatz von Pestiziden zu reduzieren. So könnten auch die Umweltauswirkungen der Landwirtschaft eingedämmt und damit der Klimawandel verlangsamt werden. Umweltschützer in Parteien und Verbänden glauben das nicht. „Julia Klöckner, wie immer in holder Eintracht mit dem Bauernverband, verbreitet nun auch die Nebelkerze der Gentech-Industrie, dass Crispr-Pflanzen die Landwirtschaft klimafreundlicher machen“, twitterte der grüne Europaabgeordnete Martin Häusling. Er hält das für „Unsinn“ und verweist auf eine Studie im Auftrag der Grünen zum „Mythos der klimasmarten Landwirtschaft“, die im Oktober 2018 vorgestellt wurde. Wie der Informationsdienst Gentechnik berichtete, weisen auch andere Forschende immer wieder darauf hin, dass Gentechnikbefürworter seit 30 Jahren versprechen, klimaangepasste Pflanzen zu entwickeln. Bis heute stammen diese jedoch fast ausschließlich aus konventioneller Zucht. [vef]EURACTIV.de – Vytenis Andriukaitis: Neue Pflanzenzüchtungstechniken brauchen neue Rahmenbedingungen (29.3.2019)EURACTIV.de: ‚Die Genom-Bearbeitung wird ganz oben auf der nächsten Tagesordnung des Parlaments stehen‘ (28.3.2019)Presseinfo Martin Häusling – Neue Studie: Vom Mythos der klimasmarten Landwirtschaft (19.10.2018)Infodienst – Klöckner: neues Gesetz für Genome Editing? (06.09.2018)Infodienst – Gentechnik: 30 Jahre leere Versprechen? (11.09.2018)Infodienst – Europawahl und Gentechnik: Ein Blick in die Wahlprogramme (01.04.2019)Gegenrede von Ursula Hudson (Slow Food) auf Euractiv.de – Neue Pflanzenzüchtungstechniken: EU-Kommissar Andriukaitis liegt falsch (16.4.2019)

mehr lesen