Aktuelle Beiträge des Informationsdienst Gentechnik

Ukrainekrieg: Argentinien hofft auf Markt für Gentechnik-Weizen

Weizen Foto: Inopinatus, https://bit.ly/3I934EF, https://creativecommons.org/licenses/by-nc/2.0/Der angeblich dürretolerante HB4-Weizen des globalen Agrarunternehmens Bioceres darf in seinem Stammland Argentinien nun ohne Einschränkungen angebaut und vermarktet werden. Den Import des herbizidtoleranten Getreides erlauben nach Brasilien jetzt auch Kolumbien, Neuseeland und Australien. Die argentinische Regierung und der Saatguthersteller setzen darauf, dass Ernteausfälle und Transportprobleme durch den Krieg im Weizenexportland Ukraine die Nachfrage nach Gentechnik-Weizen beflügeln könnten.

Das argentinische Landwirtschaftsministerium hat am 11. Mai die bisherigen Einschränkungen für Anbau und Verarbeitung von HB4-Weizen aufgehoben. Es begründete den Schritt damit, dass Brasilien als wichtigster Abnehmer von argentinischem Weizen es erlaubt habe, das mit einem Sonnenblumengen ergänzte Getreide einzuführen. Nun hofft man, dass der weltweit erste Gentechnik-Weizen, den in Argentinien vorerst nur 250 lizensierte Betriebe anpflanzen, auch verkauft werden kann. Nach Kolumbien, Neuseeland und Australien dürfen die Körner seit Neustem ebenfalls importiert und dort verarbeitet werden. Und die US-Lebensmittelbehörde FDA hat laut Bioceres Ende Juni mitgeteilt, dass sie nach Prüfung der Unterlagen keine weiteren Fragen zur Sicherheit von HB4-Weizen habe. Dies sei „ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Marktzulassung in den Vereinigten Staaten, die noch vom US-Landwirtschaftsministerium (USDA) erteilt werden muss“, schrieb Bioceres.

Doch das Unternehmen denkt schon weiter: Wie es der Nachrichtenagentur Reuters sagte, plane es in Australien zusammen mit einem Weizenzüchter Feldversuche und wolle dort im kommenden Jahr eine Anbaugenehmigung für seinen HB4-Weizen beantragen. Das vom Klimawandel besonders betroffene Land ist für Bioceres als Markt sehr interessant. In Brasilien hat die staatliche Forschungseinrichtung Embrapa nach Angaben von Reuters bereits im März Feldversuche mit dem Gentechnikgetreide begonnen. Bioceres-Vorstand Federico Trucco sagte Reuters, der Einmarsch Russlands in die Ukraine habe den Weizen in den Mittelpunkt gerückt und stärke die Argumente für seine gentechnisch veränderten Pflanzen. Die Zeitung La Nuevaer zitierte den argentinischen Landwirtschaftsminister Julián Domínguez, er wolle den Weizenanbau in seinem Land mit Hilfe der Gentechnik ausweiten und die Erträge steigern. Und sein Staatssekretär Matías Lestani ergänzte gegenüber der Tageszeitung taz: „Unser Ziel ist, die Gelegenheit zu nutzen, die sich aus dem internationalen Szenario ergibt, da der Krieg in der Ukraine schon jetzt die gesamte globale Verwertungskette in Schach hält.“

Diese Rechnung hat die Regierung aber offenbar ohne die argentinische Agrarwirtschaft gemacht: Fernando Rivara, Präsident des Verbandes der Getreideerzeuger, hat große Bedenken gegen HB4. „Die Angst vor einer Weizenkontamination behindert den Zugang unserer Produkte zu den anspruchsvollsten Märkten“, zitierte ihn La Nueva. Noch deutlicher drückte sich der Präsident des Getreideexportzentrums CIARA-CEC, Gustavo Idígoras, gegenüber dem Magazin Infobae aus: „Wir werden kein einziges Körnchen HB4-Weizen in Lieferungen akzeptieren, denn das ist eine absolute Absage an jeden Markt“. Um diese Vorbehalte abzubauen, sagte Bioceres zu, die gesamte HB4-Ernte 2022/23 aufzukaufen und das Getreide, das nicht als Saatgut gebraucht werde, in Eigenregie zu verarbeiten. Dazu sei man mit einer Brauerei und einem Futtermittelhersteller im Gespräch. Bioceres hofft, dass die Widerstände schwinden, sobald der HB4-Weizen in weiteren Ländern zugelassen ist. Auch in der Europäischen Union (EU) hat das Unternehmen eine Importzulassung beantragt.

Während die an sich gentechnikfreundlichen Vertreter der Weizenindustrie um ihre Märkte fürchten, stören sich Umweltgruppen vor allem daran, dass der HB4-Weizen gegen das Herbizid Glufosinat-Ammonium resistent ist. Sie fürchten, dass mit einem verstärkten HB4-Anbau auch dieses Pflanzengift deutlich mehr versprüht wird. In der EU ist es seit 2018 verboten, weil es die Gesundheit gefährdet. Dennoch wird es vom deutschen Pestizidhersteller BASF weiter in Länder wie Argentinien exportiert. Die Kritiker verweisen auch auf die bekannten negativen Auswirkungen des Anbaus von Gen-Soja, die sich nun bei Weizen wiederholen könnten: riesige Monokulturen, die aus der Luft mit Herbiziden besprüht werden, zerstörte artenreiche Agrarökosysteme sowie eine zunehmende Konzentration des Reichtums. Und sie wehren sich: Bio-Bauern wollen gegen die unbeschränkte Zulassung von HB4-Weizen klagen, da sie Sorge haben, dass ihre gentechnikfreien Bio-Weizenfelder damit verunreinigt werden. Ein Bundesrichter hatte die Regierung bereits vergangenen November aufgefordert, die Bürger am Zulassungsverfahren zu beteiligen. Der Oberste Gerichtshof Argentiniens muss jetzt über einen Antrag von Bundesanwaltschaft und Betroffenen entscheiden, die Zulassung von HB4 auszusetzen, berichtete die Agentur Tierra Viva. [lf/vef]

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Versuchsanbau von Vitamin D-Tomate in England

Wissenschaftler des britischen John Innes Centre haben Tomaten mit dem gentechnischen Verfahren Crispr/Cas9 so verändert, dass sie in Früchten und Blättern Vitamin D anreichern. Im Juni starten erste Freilandversuche. Lockern die Briten wie geplant die Regeln für neue Gentechnik, könnten die Tomaten bald auf den Markt kommen. Gentechnikkritiker bezweifeln, dass sie die Menschen wirklich mit Vitamin D versorgen können.

Tomaten enthalten von Natur aus sehr geringe Mengen an 7-Dehydrocholesterin. Die Substanz wird auch Provitamin D3 genannt, weil sich daraus Vitamin D3 entwickelt, wenn sie ultraviolettes Licht bestrahlt. Bei der Erforschung der Stoffwechselvorgänge in der Tomate entdeckten Wissenschaftler, dass ein Enzym das 7-Dehydrocholesterin zu anderen Pflanzenstoffen, den Esculeosiden, umbaut. Sie helfen der Tomate dabei, Schädlinge und Krankheitserreger abzuwehren. Das Team des John Innes Centre (JIC) unter Leitung der Professorin Cathie Martin hat nun mit Hilfe von Crispr/Cas9 das Gen stillgelegt, das dieses Enzym produziert. Daraufhin reicherte sich das 7-Dehydrocholesterin in den Blättern und Früchten der manipulierten Tomatenstauden an – während der Gehalt an Esculeosiden deutlich zurückging.

Wurden die so veränderten Tomaten mit UV-Licht bestrahlt (was im Freiland die Sonne erledigen muss), wandelte sich das 7-Dehydrocholesterin in den Früchten in Vitamin D3 um. Mit einer solchen Tomate würde man ebenso viel Vitamin D zu sich nehmen wie beim Verzehr von zwei Eiern oder 28 Gramm Thunfisch, rechneten die Forschenden des JIC in ihrer in der Fachzeitschrift Nature Plants veröffentlichten Arbeit vor. Darüber hinaus könnte das Vitamin D3 in den Blättern zu Nahrungsergänzungsmitteln verarbeitet werden. Die Tomate sei also geeignet, eine schlechte Vitamin D-Versorgung auszugleichen, unter der laut der Studie eine Milliarde Menschen litten. Auch bei anderen eng verwandten Pflanzen wie Auberginen, Kartoffeln und Pfeffer, die den gleichen Stoffwechselweg haben, könnte mit dieser Methode bewirkt werden, dass sie Vitamin D anreichern, heißt es in der Presseinformation des JIC. Gerade während der Corona-Pandemie sei deutlich geworden, wie wichtig ein guter Vitamin D-Spiegel für die Gesundheit ist.

Das Abschalten des Gens habe sich nicht negativ auf Wachstum, Entwicklung und Ertrag der Pflanzen ausgewirkt, so die Studienerfahrungen im Gewächshaus. Ob das auch auf dem Acker gilt, wird sich jetzt erweisen müssen. Das Münchner Institut Testbiotech warnt, dass der gentechnische Eingriff in ihren Schutzmechanismus die Tomate anfälliger machen könnte für Krankheiten und Schädlingsbefall. Auch andere Wechselwirkungen mit der Umwelt müssten untersucht werden. Bei den Tomaten selbst wäre zu prüfen, ob der Eingriff Inhaltsstoffe ungewollt verändert oder andere Stoffwechselwege gestört hat. Schließlich gibt Testbiotech zu bedenken, dass die Vitamin D-Konzentration in den Tomaten je nach Sorte und Umweltbedingungen sehr unterschiedlich sein kann. In der Zeitschrift Nature kommentieren Wissenschaftler, dass noch erforscht werden müsse, wie stabil das Vitamin in der Tomate sei, wenn sie gelagert oder verarbeitet wird. Geklärt werden müsse auch, wie gut der menschliche Körper das Vitamin aus den Tomaten aufnehmen kann. Es auf diesem Weg verlässlich zu dosieren sei unmöglich, schreibt Testbiotech.

Um mögliche Gefahren für Gesundheit oder Umwelt frühzeitig zu erkennen, fordert das Institut, die Risiken auch bei diesen genomeditierten Pflanzen eingehend zu prüfen. Liz O’Neill, Geschäftsführerin der gentechnikkritischen Organisation GM Freeze, hält die neue Tomate schlicht für überflüssig: „Die Regale in den Supermärkten sind bereits voll mit ausgezeichneten Vitamin-D-Quellen: von fettem Fisch, Eiern und rotem Fleisch bis hin zu angereicherten Getreidesorten und einer Reihe von Nahrungsergänzungsmitteln“. Eine „obskure Tomate“ hinzuzufügen werde das Problem des Vitamin-D-Mangels nicht lösen, denn schlechte Ernährung sei eine Folge von Armut und einem kaputten Lebensmittelsystem. „Wir brauchen einen Systemwandel, keinen gentechnisch veränderten Ketchup“, sagte O’Neill. [lf/vef]John Innes Centre, Press release: Gene-edited tomatoes could be a new source of vitamin D (23.05.2022)Jie Li et al.: Biofortified tomatoes provide a new route to vitamin D sufficiency (Nature Plants, 23.05.2022)Dominique Van Der Straeten, Simon Strobbe: Tomatoes supply the ‘sunshine vitamin’ (Nature Plants, 23.05.2022)Heidi Ledford: Gene-edited tomatoes could provide new source of vitamin D (Nature, 23.05.2022)Department for Environment Food & Rural Affairs: Qualifying higher plant notification (reference: 22/Q02) (06.05.2022)testbiotech.org: Crispr-Tomaten produzieren Vitamin D (18.06.2022)GM Freeze: We need system change not GM ketchup (23.05.2022)Infodienst: Britische Regierung lockert Regeln für neue Gentechnik (17.05.2022)Sunghwa Choe et al., Metabolic engineering for provitamin D3 biosynthesis in tomato (Research Square, Preprint, 28.5.2022)

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