Aktuelle Beiträge des Informationsdienst Gentechnik

Neues Gentechnikrecht erst nach Europawahl?

Der Sitz der EU-Kommission in Brüssel. Foto: EmDee - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=91781296Im umstrittenen europäischen Gesetzgebungsprozess für neue gentechnische Verfahren (NGT) wurden die Pläne der EU-Kommission jetzt offenbar auch von ihren eigenen Kontrolleuren kritisiert. Wie verschiedene Medien unter Berufung auf Insider berichteten, beanstandeten sie, die Folgen der geplanten Regelungen seien nur lückenhaft geprüft worden. Eine Sprecherin der EU-Kommission wollte sich zu dem Verfahren auf Anfrage nicht äußern. Ein Europarechtsexperte hält es für unwahrscheinlich, dass NGT vor der nächsten Europawahl im Frühjahr 2024 neu geregelt werden.
Wie das Portal Arc2020.eu kürzlich ausführte, kritisiert der zuständige EU-Ausschuss für Regulierungskontrolle, das Regulatory Scrutiny Board, die EU-Kommission habe nicht ausreichend geprüft und bewertet, wie sich ihre geplante Regelung für NGT auf das Vertrauen der Verbraucher:innen, den Biosektor, die Umwelt und die Gesundheit auswirken würden. Ferner sei versäumt worden, einen Überblick über die Kosten und den Nutzen der neuen Regeln zu geben. Arc2020 beruft sich dabei auf Angaben des Branchendiensts Agrafacts von Anfang April. Die Folge: Die zuständige Generaldirektion Gesundheit der Kommission muss ihren Entwurf überarbeiten und dem Ausschuss erneut vorlegen.
Außerdem sollen sich die beteiligten Fachabteilungen der EU-Kommission über die Regulierungspläne für NGT noch nicht einig sein, also die Generaldirektionen Gesundheit, Agrar und Umwelt. „Da gibt es offenbar noch Probleme bei der Ressortabstimmung“, sagte der Bayreuther Professor für Lebensmittelrecht, Kai Purnhagen, dem Infodienst Gentechnik auf Anfrage. Der Jurist hat beste Verbindungen nach Brüssel. Unter anderem ist er seit Dezember 2021 Mitglied des Expertenrats der EU-Kommission für Lebensmittelrecht und steht auch dem Europäischen Parlament mit seinem Fachwissen zur Seite. Nach seinen Informationen wurde die ursprünglich für 7. Juni geplante Vorlage des Regelungsentwurfs der EU-Kommission auf unbestimmte Zeit verschoben. Auf der jüngsten Tagesordnung für diese Sitzung der EU-Kommission steht das Thema allerdings weiterhin drauf.
Auch das deutsche Umweltministerium geht aktuell davon aus, dass die Europäische Kommission ihren Regelungsentwurf noch im Juni vorlegen wird. Weder dem eigenen Haus noch anderen befragten EU-Mitgliedsstaaten habe die EU-Kommission bislang offiziell mitgeteilt, dass sich die Veröffentlichung des NGT-Entwurfs verschiebe, schrieb eine Sprecherin von Ministerin Steffi Lemke dem Infodienst. Möglicherweise erfahren die europäischen Agrarminister kommende Woche mehr. Denn bei ihrem turnusmäßigen Treffen am 25.4., an dem auch der Agrarkommissar teilnimmt, soll beim Mittagessen über den geplanten NGT-Vorschlag der EU-Kommission diskutiert werden. Das wäre auch eine gute Gelegenheit, Kompromisslinien zu sondieren.
Wie das deutsche Umweltministerium (BMU) aus den ihm vorliegenden Diskussionspapieren schließt, ziehe die EU-Kommission in Betracht, bestimmte NGT- Pflanzen von den geltenden Gentechnik-Regeln auszunehmen. „Damit würden Gentechnik-Pflanzen nicht mehr auf ihr Risiko überprüft und entsprechende Produkte würden nicht gekennzeichnet“, kritisiert eine Sprecherin. Ob eine Pflanze unter die neuen NGT-Regeln falle, solle „sich letztendlich nur danach richten, ob eine solche Veränderung theoretisch auch natürlich geschehen könnte. Aber nicht alles, was natürlich entstehen kann, ist auch sicher“, gibt das BMU zu bedenken und bezweifelt, dass es überhaupt neue Regeln braucht. „Aus unserer Sicht ist die geltende Gentechnikregulierung auch für die neuen Gentechniken richtig“, so Lemkes Sprecherin.
Ähnlich beschreibt ein durchgesickertes, vorläufiges Papier der EU-Kommission, das Arc2020 wiedergibt, ihre Pläne. Unter vier möglichen Regelungen bevorzuge es die Kommission, solche Pflanzen nicht auf Risiken prüfen oder kennzeichnen zu lassen, die auch auf natürlichem Weg oder durch konventionelle Züchtung entstehen könnten. Vor einer solchen Vorgehensweise warnen gentechnikkritische Verbände seit Jahren. „Damit droht eine überstürzte und unkontrollierte Einführung von gentechnisch veränderten Pflanzen mit erheblichen Risiken für Mensch und Umwelt, aber auch für Züchtung, Landwirtschaft und Lebensmittelwirtschaft“, kommentierte etwa das Münchner Institut Testbiotech die jüngsten Berichte. „Aus wissenschaftlicher Perspektive ist klar, dass die Potentiale und Risiken der Neuen Gentechnik weit über das hinausgehen, was bei konventioneller Züchtung zu erwarten ist. Daraus folgt, dass eine verpflichtende Risikoprüfung notwendig ist.“ Der fehlerhafte, europäische Gesetzgebungsprozess müsse neu gestartet werden.
Auch die Grünen im Europaparlament bekräftigen ihre Kritik an den Deregulierungsplänen der EU-Kommission: Sollten NGT-Produkte nicht mehr gekennzeichnet und rückverfolgbar sein, „hätten Verbraucherinnen und Verbraucher keine Möglichkeit mehr, sich für gentechnikfreie Erzeugnisse zu entscheiden“, gibt der grüne Parlamentarier Martin Häusling zu bedenken. „Zudem wäre die Zukunft der biologischen Landwirtschaft in Gefahr, denn die muss ja, ihren eigenen Regeln zufolge, gentechnikfrei sein. Die Kommission sollte diese Auswirkungen sehr ernst nehmen und von ihrem Vorhaben absehen.“ Sollte sie es nicht freiwillig tun, könnte sie jedenfalls an der Zeit scheitern. Europarechtsexperte Purnhagen verweist darauf, dass der Gesetzgebungsprozess – gemessen an der in der EU üblichen Verfahrensdauer – voraussichtlich nicht bis zum kommenden Frühjahr abgeschlossen werden kann. [vef]

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Brasilien und Indonesien lassen Gentech-Weizen zu

Weizen Foto: Inopinatus, https://bit.ly/3I934EF, https://creativecommons.org/licenses/by-nc/2.0/Der argentinische Gentech-Weizen HB4 der Firma Bioceres darf in Brasilien angebaut werden, entschied die dortige Gentechnikbehörde CTNBio Anfang des Monats. In einige andere Länder darf er als Lebens- und Futtermittel importiert werden, seit neustem auch nach Indonesien. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass HB4 die globalen Lieferketten für Weizen kontaminieren könnte. In Argentinien kann schon jetzt niemand mehr sagen, in welchem Brot er steckt.

Dass der nach Firmenangaben „dürretolerante“ HB-4-Weizen jetzt auf brasilianischen Äckern wachsen darf, könnte auch dem argentinischen Markt nützen. Denn bisher durfte der Weizen nur in Form von Mehl nach Brasilien ausgeführt werden. Durch die jüngste Freigabe von CTNBio für Einfuhr und Anbau können argentinische Unternehmen nun auch ganze Weizenkörner nach Brasilien exportieren, dem wichtigsten Abnehmer von argentinischem Weizen. Mit seiner Partnerfirma Tropical Melhoramento e Genética will Hersteller Bioceres auch HB4-Saatgut in Brasilien vermarkten und die gentechnische Veränderung in lokale Weizensorten einkreuzen.

„Das grüne Licht bedeutet zwar nicht, dass Brasilien zwangsläufig bald GVO-Weizen für die Produktion anbauen wird“, kommentierte das Portal latina-press.com. Doch spiegele die Behördenentscheidung „einen erheblichen Meinungsumschwung wider, da der Klimawandel und der Krieg in der Ukraine die Sorge vor einer globalen Nahrungsmittelkrise verstärken“. Die Freigabe von HB4-Mehl im November 2021 hatte noch zu massiven Protesten der Getreideverarbeiter geführt. Nun aber teilte der brasilianische Verband der Weizenindustrie, Abitrigo, mit, er befürworte „innovative Entwicklungen“. Der Verband äußerte sich positiv zu den Erleichterungen beim Import, merkte aber auch an: „Das letzte Wort haben die Verbraucher.“ Von diesen allerdings hätten mehr als 70 Prozent nichts dagegen, Produkte mit Gentech-Weizen zu konsumieren, zitierte latina-press eine Umfrage des Keks- und Nudelherstellerverbandes Abimapi. Auch dieser hatte seine einst kritische Haltung geändert und die Zulassung begrüßt.

Im Gegensatz dazu kritisierte laut amerika21.de ein Abgeordneter der Arbeiterpartei (PT), Nilto Tatto, die Zulassung. Nun kämen die Ackergifte direkt ins Brot, sagte Tatto in Anspielung darauf, dass HB4-Weizen gegen das Herbizid Glufosinat resistent ist. In der EU ist der Wirkstoff wegen seiner Giftigkeit verboten. Wissenschaftler:innen und zivilgesellschaftliche Bewegungen hielten es für ein „echtes Verbrechen“, dass Brasilien neben Argentinien als einziges Land der Welt den Anbau dieser Weizensorte zugelassen habe, zitierte amerika21 den Abgeordneten.

Deutlich mehr Länder erlauben inzwischen, HB4-Weizen als Lebens- und Futtermittel zu importieren. Bioceres listet die USA, Kolumbien, Neuseeland, Australien, Südafrika und Nigeria auf. Mitte März neu hinzugekommen ist Indonesien, wie die Agentur Reuters meldete. Das Land ist nach Brasilien der wichtigste Abnehmer von argentinischem Weizen und hatte laut Reuters im vergangenen Jahr 1,34 Millionen Tonnen Weizen aus Argentinien bezogen.

Da HB4-Weizen ohne Kennzeichnung angebaut und verarbeitet wird, kann er gentechnikfreien Weizen verunreinigen – im Export, vor allem aber in Argentinien selbst. Dort wurde der HB4-Weizen zuerst getrennt geerntet und verarbeitet. Seit Mai 2022 darf er jedoch mit herkömmlichem Weizen vermischt werden. „Wir arbeiten mit mehr als 25 Mühlen zusammen, und die Kommerzialisierung des HB4-Weizens verläuft reibungslos“, zitierte die Tageszeitung taz einen Bioceres-Mitarbeiter. „Eine frustrierte Hilflosigkeit macht sich breit“, beschreibt die taz die Stimmung der Kund:innen in einer argentinischen Bäckerei.

HB4 ist ein Weizen, in dessen Erbgut mit alten gentechnischen Verfahren ein Gen der Sonnenblume eingeschleust wurde. Dadurch soll die Pflanze Dürren besser widerstehen können. Bioceres schreibt in seiner jüngsten Präsentation, dass HB4 im Anbaujahr 2022/23 in den „Zielumgebungen“ verglichen mit herkömmlichen Sorten bis zu 43 Prozent mehr Ertrag gebracht hätte. Gemeint sind Regionen mit einem weit unterdurchschnittlichen Weizenertrag. In Gegenden, in denen die durchschnittliche Ernte höher lag, steigerte HB4 den Ertrag dagegen nur um sieben bis acht Prozent. Bioceres interpretierte die Zahlen so, dass die niedrigen Durchschnittserträge dürrebedingt seien und HB4 der Dürre erfolgreich getrotzt habe. Allerdings machte Bioceres keine Angaben mehr über die mit HB4-Weizen bepflanzte Fläche oder über Hektarerträge. Im vergangenen Anbaujahr 2021/22 hatten diese Zahlen gezeigt, dass HB4 weit niedrigere Ernten einbrachte als handelsübliche Hochleistungssorten. [lf]

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