Auf der Hauptversammlung der Bayer AG musste sich der neue Vorstandschef Bill Anderson viel Kritik anhören. Der Aktienkurs hat sich seit seinem Amtsantritt am 1. Juni 2023 fast halbiert. Das Jahr 2023 brachte einen Verlust von drei Milliarden Euro und die wachsende Schuldenlast macht den Konzern zunehmend handlungsunfähig. Ein wichtiger Grund für das Desaster heißt Glyphosat.
Dem neuen Chef ist es nicht gelungen, die vielen Glyphosat-Klagen in den USA zu befrieden; ihre Zahl nimmt sogar weiter zu. Ende 2022 waren es laut Bayer 154.000 Klagen, von denen sich 109.000 erledigt hatten. Bis Ende 2023 wuchs die Zahl auf 167.000 Klagen, von denen 113.000 abgehakt waren. Weiterhin hat Bayer 5,7 Milliarden Euro als Risikovorsorge für diese Klagen zurückgelegt. Das Unternehmen werde sich weiterhin entschieden verteidigen, schrieb Vorstandschef Bill Anderson im Geschäftsbericht. In seinem Redetext für die Hauptversammlung stand darüber hinaus, dass Bayer „alle möglichen Mittel in Betracht ziehen (werde), um die Rechtsstreitigkeiten zu beenden“. Konkret wurde Anderson nicht. „Wir haben unsere Strategie erweitert und betrachten unterschiedliche Ansätze und Alternativen“, sagte er. „Nach einem großen Aufbruch klingt das bislang nicht“, kommentierte die Wirtschaftswoche und fügte hinzu, dass die hohen Rechtskosten von bisher mehr als zehn Milliarden Euro maßgeblich zur hohen Nettoverschuldung des Konzerns beigetragen hätten.
Auch an dem dicken Minus im Geschäftsjahr 2023 ist zum Teil Glyphosat schuld. Umsatz und Ergebnis der Agrarsparte Crop Science seien gegenüber dem Vorjahr „deutlich rückläufig, v. a. durch gesunkene Glyphosat-Preise“, heißt es im Geschäftsbericht 2023. So sank der Umsatz mit Herbiziden, zu denen Glyphosat gehört, um 2,4 Milliarden Euro. Insgesamt fuhr die Sparte Crop Science einen Verlust von sechs Milliarden Euro ein, verursacht durch Wertminderungen von Geschäfts- oder Firmenwerten, insbesondere durch schlechtere Geschäftsaussichten und gestiegene Kapitalkosten, wie es im Geschäftsbericht heißt. Negativ schlug 2023 auch eine stagnierende Pharma-Sparte zu Buche sowie der auf 34,5 Milliarden Euro angewachsene Schuldenstand des Unternehmens. Um diesen abzubauen kündigte Andersen an, für die nächsten drei Jahre nur die Pflichtdividende an die Aktionäre auszuzahlen.
Die Lage des Konzerns führte auf der wieder nur virtuell durchgeführten Hauptversammlung zu massiver Kritik. „Das Haus Bayer brennt lichterloh und Sie als Hausherr fangen zuerst einmal an aufzuräumen, anstatt die Brände zu löschen“, schimpfte Ingo Speich von der Fondsgesellschaft Deka laut Redetext. Er verlangte von Anderson „eine viel stärkere Konzentration auf die Reduzierung der Rechtsrisiken, Verbesserung der Pharmapipeline und ein schlagkräftigeres Agrargeschäft.“
Bayer werde in den kommenden zehn Jahren zahlreiche Innovationen für Landwirte auf den Markt bringen, versprach Anderson in seiner Rede: „Wir planen in diesem Zeitraum die Markteinführung von insgesamt zehn Blockbustern.“ Konkret genannt wurden im Geschäftsbericht der schon länger angekündigte konventionell gezüchtete Kurzhalmmais sowie ebenfalls konventioneller Direktsaat-Reis. Der soll, beginnend in Indien, die Reisanbausysteme für Kleinbauern transformieren und Wasser sparen helfen. Dabei ist dieses Anbausystem seit langem bekannt und wird immer häufiger praktiziert. Neu ist wohl eher, dass Bayer nun einen dafür geeigneten Reis im Portfolio hat. Ansonsten stehen im Geschäftsbericht „eine neue Generation herbizidtoleranter Sojasorten, Weizenhybride“ sowie ein gentechnisch verändertes Acker-Hellerkraut als Zwischenfrucht. Entwickelt werden soll weiterhin „die nächste Generation von Pflanzenschutzmitteln“.
„Statt jetzt im Konzern auf ein Umdenken zu setzen und einen Strategiewechsel vorzunehmen, setzen die Bayer-Verantwortlichen darauf, ihre Marktmacht durch neue Gentechnik, Patente auf Saatgut, Digitalisierung und Pestizide auszubauen“, kritisierte Annemarie Volling, Gentechnik-Expertin der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, den Kurs des Konzerns. Gentechnik, Patente und Glyphosat seien kein Zukunftsmodell für die Landwirtschaft, sondern eine Sackgasse. Einen Tag vor der Hauptversammlung hatten sich sechs internationale Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) über den Bayer-Konzern beschwert. Er verstoße gegen die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen. Der Konzern fördere ein Agrarmodell in Südamerika, das zu Nahrungsunsicherheit, Wasserknappheit, extremer Abholzung, Biodiversitätsverlust, gravierenden Gesundheitsauswirkungen sowie Landkonflikten mit indigenen und bäuerlichen Gemeinschaften führe, schreibt die Hilfsorganisation Misereor. Die OECD hat nun drei Monate Zeit, über die Zulässigkeit der Beschwerde zu entscheiden. [lf]