Die Europa-Abgeordneten haben die Kommission mit großer Mehrheit aufgefordert, fünf gentechnisch veränderten Pflanzen die beantragte Zulassung als Futter- und Lebensmittel zu verweigern. Die EU-Kommission wird die fünf Beschlüsse voraussichtlich ignorieren und die Zulassung erteilen. So wie in 43 Fällen davor. Doch wenn es im nächsten Jahr um die Frage geht, ob das EU-Gentechnikrecht zugunsten neuer Verfahren wie CRISPR/Cas geändert werden soll, dann zählt das Votum der Abgeordneten und kann nicht übergangen werden.
Deshalb werde genauer als sonst beobachtet, wie die Abstimmung ausgehe, schrieb das Magazin Politico im Vorfeld. Der Ausgang war deutlich: Von den 696 Abgeordneten lehnten je nach Gentechpflanze 472 bis 490 eine Zulassung ab. Weitere 22 bis 30 enthielten sich. Den gentechnikfreundlichen Kurs der EU-Kommission stützten 184 bis 194 Abgeordnete, das entspricht rund 27 Prozent. Im Mai 2020 lehnten 477 Abgeordnete die Zulassung der Gentech-Soja MON 87708 × MON 89788 × A5547-127 ab. Das sei bisher die höchste Zahl gewesen, schrieben damals einige Parlamentarier in einem Brief an Kommission-Vizepräsident Frans Timmermans. Sie wurde diesmal noch übertroffen, was sich vorsichtig als zunehmender Widerstand gegen die Agro-Gentechnik interpretieren lässt.
Zu denjenigen, die diese Abstimung genau beobachtet haben, dürfte das Bauernnetzwerk Via Campesina gehören. Es berichtete letzte Woche darüber, wie in Italien, Frankreich und auf EU-Ebene „eine kleine, aber mächtige Minderheit von Lobbygruppen der Saatgut- und Agrarindustrie“ darauf dränge, das Gentechnikrecht zu deregulieren. So würden im Landwirtschaftsausschuss des italienischen Parlaments derzeit vier Dekrete kursieren, die darauf abzielen, die Einführung neuer gentechnischer Verfahren in Italien zu genehmigen. In Frankreich missachte die Regierung bewusst eine Entscheidung des obersten Gerichtshofes. Dieser hatte im Februar 2020 die Regierung angewiesen, innerhalb von sechs Monaten ein nationales Gesetz zu erlassen, um das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Neuen Gentechnik vom Juli 2018 umzusetzen.
Via Campesina berichtet auch, drei Europa-Abgeordnete aus verschiedenen Fraktionen hätten gemeinsam an Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides geschrieben, „um sie davon zu überzeugen, das Vorsorgeprinzip und die Folgenabschätzung zu ignorieren, die die EU-Entscheidungen zum Thema GVO bisher geleitet haben“.
Die Mitarbeiter von Kyriakides sollen bis April 2021 eine von den Mitgliedsstaaten geforderte Studie zum Status der neuen Gentechniken im Lichte des EuGH-Urteils vorlegen. Der Termin gilt als Startsignal für die Debatte um eine mögliche Änderung des EU-Gentechnikrechts. Darauf arbeiten die Lobbyisten der Agrarindustrie in Brüssel schon lange hin. Wie erfolgreich sie dabei vorgehen, haben die Lobbywächter von Corporate Europe Observatory an einem anderen Beispiel aufgezeigt: der im November von EU-Parlament und Mitgliedsstaaten beschlossenen Gemeinsamen Agrarpolitik der EU. [lf]European Coordination Via Campesina: Seed industries continue to push for deregulation of GMOs (11.12.2020)Corporate Europe Observatory: CAP vs Farm to Fork: Will we pay billions to destroy, or to support biodiversity, climate, and farmers? (12.10.2020)Infodienst: Europaabgeordnete beschweren sich über Missachtung des Parlaments (29.06.2020)Infodienst: EU-Kommissarin: vorerst keine neuen Regeln zur Agro-Gentechnik (20.05.2020)Infodienst: EU-Kommission hört bevorzugt Industrielobbyisten an (07.02.2020)