RoundUp von Bayer/Monsanto (Foto: Mike Mozart, http://bit.ly/2yIfwuQ, https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/) Die Europäische Kommission wird den Herbizid-Wirkstoff Glyphosat im Alleingang für weitere zehn Jahre, also bis Ende 2033, in der EU zulassen. Das teilte sie heute mit, nachdem die 27 EU-Mitgliedstaaten diesen Vorschlag auch im zweiten Versuch nicht mit qualifizierter Mehrheit befürwortet oder abgelehnt hatten. Nun droht der Bundesregierung nach Einschätzung von Rechtsexperten das Problem, dass das ab 1.1.2024 gültige Verbot glyphosathaltiger Spritzmittel in Deutschland kollidiert mit der Zulassung des Wirkstoffs nach europäischem Recht. Wie erwartet hat in der heutigen Sitzung des Berufungsausschusses zwar wieder eine Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten für den Zulassungsvorschlag der Kommission gestimmt. Die 17 Länder repräsentierten jedoch keine qualifizierte Mehrheit von 55 Prozent der Mitgliedstaaten und 65 Prozent der Bevölkerung der EU. Wie der Europaabgeordnete Martin Häusling twitterte, stimmten die Mitgliedstaaten fast genauso ab wie bei der ersten Sitzung im Oktober, lediglich Italien schwenkte von Zustimmung auf Enthaltung um. Ebenfalls enthalten hatten sich demnach Deutschland, Frankreich, die Niederlande, Bulgarien, Belgien und Malta. Österreich, Luxemburg und Kroatien lehnten eine erneute Zulassung des Unkrautvernichters ab. Bundesagrarminister Cem Özdemir bedauerte im Anschluss, dass der Dissens in der Koalition ihn zu einer Enthaltung gezwungen habe. „Ich hätte gerne gemäß unserer Koalitionsvereinbarung mit einem klaren ‚Nein‘ gestimmt“, so der grüne Minister. Die Neuzulassung hätte er aber auch damit nicht stoppen können. Unmittelbar nach dieser Sitzung teilte die EU-Kommission mit: „Auf der Grundlage umfassender Sicherheitsbewertungen, die von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) zusammen mit den EU-Mitgliedstaaten durchgeführt wurden, wird die Kommission nun die Zulassung von Glyphosat für einen Zeitraum von zehn Jahren verlängern, wobei bestimmte neue Bedingungen und Einschränkungen gelten“. Konkret nannte sie ein Verbot der Sikkation, also das Abspritzen erntereifer Felder mit Glyphosat, um die Ernte zu erleichtern. Auch will sie maximale Mengen festlegen, wieviel von dem Totalherbizid auf den Feldern ausgebracht werden darf. Dass die Umwelt geschützt und Wildblumen oder kleine Säugetieren wie Wühlmäuse nicht geschädigt werden, dafür sollen die Mitgliedstaaten in ihren Vorschriften für den Spritzmitteleinsatz sorgen, schrieb die EU-Kommission. Die EFSA soll Leitlinien entwickeln, um mögliche indirekte Auswirkungen von Glyphosat auf die Artenvielfalt bewerten zu können. Dass es an der Stelle Datenlücken gibt, hatte die EFSA im Zulassungsprozess selbst eingeräumt. Auch ernährungsbedingte Risiken für Verbraucher:innen konnte sie nicht abschließend klären. Dass die EU-Kommission das Pflanzengift trotzdem weiter zulassen will, empört viele Umwelt- und Verbraucherorganisationen. „Zahlreiche unabhängige Studien belegen die verheerenden Konsequenzen von Glyphosat für die Artenvielfalt und auch für die menschliche Gesundheit“, warnt etwa Christine Vogt, Agrarreferentin beim Umweltinstitut München. „Wir erwarten, dass die Kommission nach dem europäischen Vorsorgeprinzip handelt und Glyphosat keine weitere Genehmigung erteilt.“ Corinna Hölzel, Pestizidexpertin beim Umweltverband BUND, fordert ein nationales Glyphosatverbot. Nach der deutschen Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung ist es ab 1. Januar 2024 untersagt, Glyphosat weiter anzuwenden. Bereits im Juni hatte ein auf Spritzmittelzulassungen spezialisierter Rechtsanwalt jedoch darauf hingewiesen, dass Deutschland Glyphosat nicht komplett verbieten kann, wenn der Wirkstoff in Brüssel erlaubt ist. Erneuert die EU-Kommission die Glyphosat-Zulassung also wie angekündigt bis 2033, könnte das deutsche Verbot ab 1.1.2024 damit kollidieren. Auch der deutsche Agrarminister hatte bereits eingeräumt, dass das Europarecht ihm beim Verbot des Totalherbizids Grenzen setzt. Zwar schreibt die EU-Kommission, die Mitgliedstaaten könnten die Verwendung glyphosathaltiger Pestizide „auf nationaler und regionaler Ebene einschränken, wenn sie dies aufgrund der Ergebnisse von Risikobewertungen für notwendig erachten, wobei sie insbesondere die Notwendigkeit des Schutzes der biologischen Vielfalt berücksichtigen“. Ein hochrangiger Kommissionsbeamter hatte im Oktober jedoch deutlich gemacht, dass das kaum komplette Verbote rechtfertigen dürfte. Auch Rechtsanwalt Peter Koof schreibt auf seiner Webseite, dass die Bundesregierung schon längst hätte aktiv werden müssen, um die Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung zu ändern. Denn es gebe bereits jetzt diverse glyphosathaltige Pestizide, die über den 15.12.2023 hinaus zugelassen sind. Hintergrund ist, dass die EU-Kommission zwar Pestizidwirkstoffe zulassen kann. Die europäischen Mitgliedstaaten regeln aber selbst, welche Spritzmittel mit welchen Wirkstoffen in ihren Hoheitsgebieten erlaubt sind. Was Glyphosat angeht, sieht Agrarminister Özdemir hier offenbar keinen Zeitdruck: Sein Ministerium werde „nun sehr genau prüfen, …welche nationalen Handlungsmöglichkeiten wir haben, um den Koalitionsvertrag so weit wie möglich umzusetzen“, teilte er heute mit. Im Koalitionsvertrag hatten die Ampel-Parteien festgehalten: «Wir nehmen Glyphosat bis Ende 2023 vom Markt.» Zur Frage, wie man dabei mit dem Widerspruch zwischen der EU-Zulassung und der deutschen Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung umzugehen gedenkt, konnte der Infodienst Gentechnik trotz mehrfacher Nachfragen beim BMEL seit Sommer bislang keine Antwort erhalten. Für Rechtsanwalt Peter Koof ist die Sache klar: „Das Anwendungsverbot für glyphosathaltige Pflanzenschutzmittel ab dem 01.01.2024 ist erst recht aufzuheben, wenn die Genehmigung des Wirkstoffs Glyphosat von der Europäischen Kommission über den 15.12.2023 hinaus verlängert wird“, schrieb er schon im Juni. Bestätigt sieht er seine Auffassung durch ein Urteil des luxemburgischen Verwaltungsgerichtshofs vom März diesen Jahres. Als erstes EU-Mitglied hatte Luxemburg im Januar 2021 Glyphosat landesweit verboten. Das Gericht hob das Verbot jedoch auf, da es keine besonderen ökologischen oder landwirtschaftlichen Merkmale in Luxemburg gebe, die ein nationales Verbot rechtfertigten. Es liegt also auf der Hand, dass auch das Glyphosat-Verbot aus der deutschen Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung 2024 vor Gericht landen wird. Doch auch die Gegner des Spritzmittels ziehen vor Gericht. So klagt die Deutsche Umwelthilfe gegen das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, weil es den glyphosathaltigen Unkrautvernichter Roundup PowerFlex zugelassen habe, ohne die negativen Auswirkungen auf den Artenschutz ausreichend zu berücksichtigen. DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch kündigte bereits weitere Klagen gegen glyphosathaltige Pestizide an. In Frankreich hatte eine Umweltorganisation mit einer solchen Klage Erfolg. Wie es aussieht werden also die Gerichte ausbügeln müssen, was die Politik unzureichend geregelt hat. [lf/vef]