Die große Koalition drückt weiter aufs Tempo: Noch in dieser Woche will der Bundestag die umstrittene Änderung des Gentechnikgesetzes beraten, die ein Anbauverbot gentechnisch veränderter Pflanzen (GVO) in Deutschland möglich machen soll. Letzteres behauptet jedenfalls der Bundesagrarminister. Länder, Opposition und Verbände kritisieren unisono, dass die komplizierten Regeln eher zu einem Verbotsverhinderungsgesetz führen. Die Grünen haben alternativ einen Änderungsentwurf des Bundesrates zum Gentechnikgesetz aus 2015 in den Bundestag eingebracht.
Wie berichtet hat die Bundesregierung ihren Gesetzentwurf nach monatelangem Stillstand jetzt als besonders eilbedürftig eingestuft, da er sonst in dieser Legislaturperiode nicht mehr verabschiedet werden könnte. So findet die 1. Lesung schon am Freitagmittag statt, bevor der Bundesrat die Gelegenheit zu einer Stellungnahme hatte. Die Länderkammer wird sich erst bei ihrer nächsten Sitzung am 16. Dezember mit dem Entwurf befassen. Dabei hatte Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU) betont, dass das Mitbestimmungsrecht der Länder ein Kernelement seines Entwurfs sei. Im Oktober hatten jedoch zehn Bundesländer in einem offenen Brief an Minister Schmidt moniert, dass er sich über einen von Bund und Ländern vereinbarten Kompromiss aus dem Frühjahr hinweggesetzt habe. Sie hatten Schmidt aufgefordert, den Entwurf nachzubessern – bislang vergeblich.
Die Kritik der Länder wie auch von Verbänden und Parlamentariern einschließlich TeiIen der SPD richtet sich vor allem gegen das komplizierte Verfahren für ein GVO-Verbot. So braucht Minister Schmidt nur dann tätig zu werden, wenn zwei Drittel der Bundesländer und fünf Ministerien das wollen. Und obwohl vom EU-Recht nicht verlangt, müssen von den Ländern schon zwingende Gründe genannt werden, wenn der Hersteller einer Gentechnik-Pflanze nur aufgefordert werden soll, Deutschland freiwillig aus seinem Zulassungsantrag auszunehmen. Diese Voraussetzungen sind nach Meinung der Kritiker innerhalb der engen EU-rechtlichen Fristen kaum zu erfüllen.
Kommt ein bundesweites Verbot nicht zustande, können die Bundesländer einzeln GVO-Verbote für ihr Territorium erlassen. Das führt jedoch nahezu zwangsläufig zu einem Flickenteppich unterschiedlicher Regelungen im Bundesgebiet, der vor allem Erzeuger von gentechnikfreien Lebens- und Futtermitteln vor unlösbare Probleme stellt. Denn Pollen und Samen gentechnisch veränderter Pflanzen würden durch Wind und Insekten verbreitet und machten an Landesgrenzen nicht halt, so der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft in seiner Stellungnahme.
Höchst umstritten ist schließlich eine Passage, die erst am 1. November, einen Tag bevor das Kabinett den Entwurf verabschiedete, in die Begründung eingefügt wurde. Danach müssen Organismen, die mit neuartigen Gentechnikverfahren wie CRISPR-Cas9 gewonnen wurden, nicht zwangsläufig als GVO gewertet werden. Ob sie unter das Gentechnikrecht fallen, sei im Einzelfall prozess- und produktbezogen zu bewerten, heißt es in dem Einschub.
Der Staatssekretär im Bundesumweltministerium, Jochen Flasbarth (SPD), hat in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters zwischenzeitlich klargestellt, dass es nicht darauf ankommen könne, ob ein gentechnischer Eingriff anschließend noch zu erkennen sei. Entscheidend für die Frage, ob ein Organismus unter das Gentechnikrecht falle, sei der Eingriff mittels gentechnischer Verfahren. Darunter fielen auch die neuen Techniken wie CRISPR-Cas9, so Flasbarth. Ob das auch der Koalitionspartner so sieht, muss sich zeigen.
Das Gentechnikgesetz muss ergänzt werden, da die Europäische Union im vergangenen Jahr die Möglichkeit eingeführt hat, dass einzelne Mitgliedsstaaten für ihr Territorium den Anbau von GVO verbieten können (sog. „Opt out“). Nach der 1. Lesung im Bundestag und der Stellungnahme des Bundesrats soll es im Januar eine Anhörung im Bundestag geben. Dann folgt dort die zweite Lesung. Auch der Gesetzentwurf des Bundesrats, den die Grünen eingebracht haben, wird noch zu beraten sein. Anfang 2017 könnte das geänderte Gentechnikgesetz verabschiedet werden. [vef]
Hinweis an die Medien: Für Freitagfrüh um 8.30 Uhr ist eine Medien-Bildaktion verschiedener Akteure auf der Wiese vor dem Reichstag geplant.Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Gentechnikgesetzes als Bundestagsdrucksache 18/
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