UPDATE +++ Für eine Verbraucherkonferenz über neue gentechnische Verfahren, die am 10. August in Berlin starten wird, haben sich 148 Personen registrieren lassen. Das schrieb das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) dem Infodienst Gentechnik auf Anfrage. 20 von ihnen sollen über drei Wochenenden eine schriftliche Stellungnahme zu diesen Verfahren verfassen.
Wie das BfR mitteilte, sollen diese 20 Personen so heterogen wie möglich aus den 148 Anmeldungen ausgewählt werden. Kriterien seien soziodemografische Eigenschaften wie Alter, Geschlecht oder berufliche Tätigkeit. Mit der Teilnahme sollte jedoch kein berufliches Interesse verbunden sein, schreibt die Behörde. Haben sich mehrere Menschen mit ähnlichen Eigenschaften angemeldet, entscheide das Los. Ziel der Verbrauchertreffen nach dem Vorbild dänischer Konsensus-Konferenzen sei es, Bürgerinnen und Bürger an der Debatte zu einem verbraucherrelevanten und öffentlich kontrovers diskutierten Thema zu beteiligen. Die erarbeitete Stellungnahme soll bei einer dreitägigen Abschlusskonferenz vom 28. bis 30. September an Repräsentanten aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft übergeben werden.
Politiker und Verbandsvertreter, nach deren Ansicht neue gentechnische Verfahren wie Crispr-Cas auch in Zukunft nach Gentechnikrecht reguliert bleiben müssen, sehen die Veranstaltung aus verschiedenen Gründen kritisch. „Nachdem die Bürger draußen im Lande seit Jahrzehnten in allen Umfragen mit stabilen 75%-Mehrheiten gegen die Gentechnik im Essen votieren, will das Ministerium sich jetzt sein eigenes ‚Bürgervotum‘ erschaffen, das den Politikern ein ‚passenderes‘ Bild der Bürgermeinung spiegeln und dann ersatzweise die politischen Entscheidungen pro Gentechnik legitimieren soll“, befürchtet der Pflanzenzüchter Hans-Joachim Bannier. Das BfR ist der Bundesagrarministerin unterstellt, die keinen Hehl daraus macht, dass sie neue Technologien wie Crispr-Cas trotz anderslautender Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs im Juli 2018 nicht wie Gentechnik regulieren möchte.
BfR-Präsident Andreas Hensel dagegen verweist auf die Unabhängigkeit seines Instituts. Wie seine Pressestelle mitteilte, sei eine wertneutrale Gestaltung ein Grundprinzip jeder Verbraucherkonferenz. Deshalb habe seine Behörde die Gestaltung des Treffens auch an einen externen Dienstleister vergeben und werde sich aus Moderation, Diskussion und Verfassen des Votums heraushalten. Bei den Informationsmaterialien zum Thema „Genome Editing“ habe das BfR eine Vorauswahl getroffen. Der Dienstleister, der langjährige Erfahrung mit Diskussionsforen zur Biowissenschaften mitbringe, habe die Materialien dann selektiert und didaktisch priorisiert. Schließlich sei ein wissenschaftlicher Beirat für dieses Vorhaben eingerichtet worden, der diese Materialien nochmals im Hinblick auf eine ausgewogene Risiko-Nutzen-Darstellung und darauf überprüfe, ob die Erläuterungen und Bilder wissenschaftlich korrekt sind. Dieser Beirat setze sich aus Expertinnen und Experten aus der Technologiefolgenabschätzung, Gesellschaftsforschung und dem Risikomanagement zusammen.
Bleibt die Frage nach der Auswahl der Expertinnen und Experten, unter denen die Teilnehmenden für die Befragung bei der Abschlusskonferenz am 28. September auswählen können. Man habe 70 Experten angeschrieben und eingeladen, schreibt das BfR. Sie seien nicht danach ausgewählt worden, ob sie Befürworter oder Kritiker der Gentechnik sind, sondern aufgrund ihrer Fachkenntnis. Ende vergangener Woche hatten 30 davon ihren ehrenamtlichen Einsatz zugesagt. Die Teilnehmenden dagegen bekommen für die drei Wochenenden eine Aufwandsentschädigung von 500 Euro.
Am Geld hatte sich Ende vergangener Woche noch ein heftiger Streit zwischen BfR-Präsident Hensel und dem grünen Europa-Abgeordneten Martin Häusling entzündet. Per Twitter hatte Häusling gefragt, wie die Konferenz finanziert werden soll: „Aus der Staatskasse oder von Bayer?“ In einem offenen Antwortbrief an Häusling schrieb Hensel erbost, sein Institut habe bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass es aus Gründen der Unabhängigkeit keine Mittel der Industrie einwerbe. Er warf dem Abgeordneten vor, mit seiner Polemik dem Anliegen der Bürgerbeteiligung zu schaden. Dieses Anliegen stellte Häusling dann seinerseits in Frage: In einem Interview mit dem Tagesspiegel hatte Hensel sich kürzlich bereits dazu geäußert, worin er die Vorteile von „Genome Editing“ sieht, und für eine produktbezogene Risikobewertung plädiert. „Ich nenne das Voreingenommenheit – statt Offenheit oder Unabhängigkeit“, kritisierte Häusling. [vef]
Update: ausführliche Stellungnahme des BfR; Streit mit HäuslingPresseinfo Bundesinstitut für Risikobewertung - Erbgut nach Maß: Was denken die Verbraucher?
(15.07.2019)Offener Brief von BfR-Präsident Andreas Hensel an MdEP Martin Häusling (24.7.2019)Tagesspiegel-Interview mit BfR-Chef Hensel - Neue gentechnische Methoden: „Ein Verbrauchervotum zu Genome Editing“ (19.7.2019)Studie von Hans-Joachim Bannier u.a.: Designerpflanzen als Allheilmittel sind nicht die Lösung!Infodienst: Verbraucher verlangen Kennzeichnung und strikte Regulierung für Genome Editing (6.11.2017)Dossier: Meinungsumfragen zu Gentechnik auf Acker und TellerMartin Häusling MdEP - Über seltsamen Tiraden des Bundesinstituts für Risikobewertung: Gehe über Los, ziehe 500 Euro und stelle keine Fragen (25.7.2019)