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Studie warnt vor Gentechnik-Pestiziden

PestizideWissenschaftler:innen aus Brasilien, Neuseeland und Norwegen haben mit Computermodellen abgeschätzt, welche unerwünschten Nebenwirkungen sogenannte RNAi-Pestizide haben können, die doppelsträngige Ribonukleinsäure (dsRNA) als Wirkstoff verwenden. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass diese Wirkstoffe – offen ausgebracht – nicht nur Insekten und Säugetiere, sondern vor allem Menschen gefährden können. Ihr Fazit: Äußerste Vorsicht.

Ausbringen läst sich dsRNA auf verschiedene Weise. In ihrer Studie analysierten die Forschenden, was passieren kann, wenn mit dsRNA Felder bewässert, Vorräte begast oder sie als Pellets in den Bodeneingearbeitet werden. Entsprechend wählten sie den Maiswurzelbohrer, den Reismehlkäfer und den Weißfäulepilz als Schadorganismen, die durch dsRNA bekämpft werden sollen. Sie schätzten das Risiko ab, dass andere Organismen als die jeweiligen Schädlinge mit der dsRNA in Berührung kommen. Mit Computermodellen suchten sie im Erbgut solcher Nichtziel-Organismen nach Gensequenzen, die denen glichen, die von der dsRNA angegriffen würden. Dabei wurden sie reichlich fündig, vor allem im menschlichen Erbgut. Hier fanden sie 24 Gensequenzen, an denen die für den Maiswurzelbohrer tödliche dsRNA andocken und dort das Erbgut ändern könnte. Bei der Mehlkäfer-dsRNA waren es 36 Andockstellen, bei der Schimmelpilz-dsRNA nur fünf. Die Forschenden schätzten auch die möglichen Erbgutänderungen beim Menschen ab und stellten fest, dass vor allem Stoffwechselvorgänge in Zusammenhang mit Krebs und hormonellen Wirkungen betroffen seien. Sie empfahlen für das Ausbringen solche gentechnischer Reagenzien wie dsRNA eine rechtlich verpflichtende Risikobewertung, da es neu auftretender Kontaminanten mit potenziellen Gefahren für die Gesundheit von Mensch und Umwelt seien.

Bei dieser Studie handelt es sich um eine computergestützte Abschätzung von Risiken und noch nicht um reale Versuche. Genau diese sind jedoch nach Ansicht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) erforderlich. Sie schreibt in einer Betrachtung zu den gesundheitlichen Risiken von RNAi-Pestiziden, dass es beim Menschen und anderen Wirbeltieren erhebliche physiologische und biochemische Barrieren gebe, die es erschweren, dass Fremd-RNA in den Körper aufgenommen und dort verteilt wird – etwa zersetzende Enzyme im Speichel oder die Magensäure. Jedoch würden die Hersteller in vielen Fällen durch spezifische Produktformulierungen ihre dsRNA widerstandsfähig und stabil gegen Umwelteinflüsse machen. Deshalb seien Studien über die Persistenz in der Umwelt und die systemische Aufnahme und Toxizität solcher spezifischer dsRNA-Formulierung erforderlich.

Dabei gelten RNAi-Pestizide immer noch als risikoärmere Alternative zu konventionellen Pestiziden, da die dafür verwendete Ribonukleinsäure (RNA) und der Wirkmechanismus, die RNA-Interferenz (RNAi), in der Natur vorkommen. Die RNA ist ähnlich wie das Erbgut, die DNA (Desoxyribonukleinsäure), aus vier organischen Basen aufgebaut. Im Gegensatz zur DNA besteht RNA jedoch nicht aus zwei miteinander verwundenen Strängen, sondern üblicherweise nur aus einem einzigen Strang. Allerdings bildet bei vielen Viren die RNA selbst das Erbgut – und kommt zweisträngig vor (dsRNA). Eine solche dsRNA lässt sich auch künstlich herstellen, und zwar mit der jeweils gewünschten Reihenfolgen der Basen. Gelangt eine solche künstliche dsRNA über das Verdauungssystem in die Zelle eines Schädlings, etwa eines Kartoffelkäfers, glaubt diese, ein Virus vor sich zu haben. Enzyme in der Zelle zerschneiden die dsRNA und nehmen diese Schnipsel als Vorlage, um alles abzubauen, was ebenso aufgebaut ist wie diese Schnipsel. Gleichen sie einem Gen des Käfers, so wird auch dieses zerstört – selbst wenn es lebenswichtig ist. RNA-Interferenz, kurz RNAi, nennt sich dieser Effekt, mit dem die RNA genutzt werden kann, um ein Gen stillzulegen.

Eingesetzt wird dieses Wirkprinzip bereits in gentechnisch veränderten Pflanzen wie dem Mais Smart Stax pro von Bayer. Er produziert eine dsRNA, die ein Gen des Maiswurzelbohrers ausschalten und die Raupe dadurch töten soll. Mehrere Forschungsinstitute und Unternehmen entwickeln derzeit Pestizide, die mit dsRNA arbeiten. Eine Übersicht bietet der Kritische Agrarbericht von 2022, inzwischen dürften noch einige dazugekommen sein. So arbeitet etwa das bundeseigene Julius Kühn-Institut zusammen mit einem Fraunhofer-Institut in dem vom Bundeslandwirtschaftsministerium geförderten Projekt ViVe_Beet an einer dsRNA, die Zuckerrüben vor Vergilbungsviren schützen soll. Ein erstes RNAi-Pestizid ist bereits auf dem Markt: Im Dezember 2023 hat die US-Umweltbehörde EPA den dsRNA-Wirkstoff Ledprona gegen den Kartoffelkäfer für vorerst drei Jahre zugelassen.

Gentechnikkritiker:innen warnen schon länger vor dieser Entwicklung. „Unabhängige Studien zum Umweltverhalten der dsRNA in den Sprays gibt es bisher kaum“, schrieb das Gen-ethische Netzwerk schon 2021. Die französische Organisation Pollinis berichtete 2023 über Feldversuche mit RNAi-Pestiziden ohne jede Risikoabschätzung. In einer Analyse hatte sie – ähnlich dem Vorgehen in der oben genannten Studie – für 26 in der Entwicklung befindliche RNAi-Wirkstoffe die Gensequenzen von Schadinsekten mit denen von Nicht-Zielarten verglichen und kam zu der Schlussfolgerung, dass über die Hälfte der Produkte tödliche Auswirkungen auf bis zu 136 bestäubende Insektenarten haben könnten. Pollinis forderte deshalb eine „drastische und strenge Risikobewertung von RNAi-Pestiziden durch eine unabhängige Agentur“. Alle laufenden Freilandversuche in Europa sollten ausgesetzt werden, bis diese Bewertung durchgeführt worden ist. [lf]

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