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Kontrollorgan: gravierende Mängel an Gentechnik-Plänen der EU-Kommission

Weizenpflanzen des Pilton-Projekts im Gewächshaus. Foto: Alexander SchlichterAm morgigen Mittwoch will die europäische Kommission einen Vorschlag vorlegen, wie sie neue gentechnische Verfahren (NGT) künftig regeln will. Dabei hat ein internes Kontrollgremium den Plänen noch Ende April „gravierende Mängel“ bescheinigt, die auch im geleakten Entwurf Mitte Juni nicht beseitigt waren. Außerdem haben Umweltverbände die Europäische Ombudsstelle eingeschaltet, weil sie die vorausgehende Folgenabschätzung der EU-Kommission als voreingenommen und unfair im Verfahren kritisieren.

Wie berichtet plant die EU-Kommission, die Regeln für NGT-Pflanzen zu lockern. So sollen Pflanzen, bei denen im Erbgut nur wenig verändert wurde, künftig nicht mehr auf Risiken geprüft und gekennzeichnet werden. Im Sommer und Herbst 2022 befragte die EU-Kommission erst die gesamte Öffentlichkeit und danach ausgesuchte Interessengruppen, welche Folgen verschiedene Regelungsvarianten für Wirtschaft und Gesellschaft haben könnten. In beiden Fällen kritisierte ein Teil der Konsultierten die Fragen als einseitig und voreingenommen.

Ungeachtet dieser Kritik legte die Kommission im Februar 2023 eine erste Fassung ihrer Folgenabschätzung ihrem Ausschuss für Regulierungskontrolle vor. Dieser wies das Papier Mitte März wegen gravierender Mängel zurück. „In dem Bericht werden die Auswirkungen auf das Vertrauen der Verbraucher, den Biosektor, die Umwelt und die Gesundheit nicht ausreichend bewertet“, kritisierten die Kontrolleure. Sie forderten die Kommission explizit auf, in Bezug auf Gesundheit und Umwelt „eine ausgewogenere Analyse“ zu liefern. Auch sollte sie „die Analyse der Auswirkungen auf den Öko-Sektor weiter ausbauen und die Kosten für diesen Sektor quantifizieren“. Fünf Wochen später, am 25. April, präsentierte die Kommission dem Ausschuss eine überarbeitete Fassung. Auch hier monierten die Kontrolleure noch „erhebliche Mängel“ und verlangten weitere Nachbesserungen. Die Kommission müsse ausführlicher die Kriterien darstellen, nach denen entschieden werden soll, ob eine NGT-Pflanze in der Natur vorkomme oder durch konventionelle Züchtung erzeugt werden könne. Insbesondere müssten die wissenschaftlichen Grundlagen und die Umsetzung in der Praxis ausführlicher beschrieben werden, hieß es in der Stellungnahme. Denn diese Kriterien werden möglicherweise künftig darüber entscheiden, ob eine NGT-Pflanze reguliert wird oder nicht.

Das Portal Arc2020.eu hat Mitte Juni neben dem Bericht des Regulierungsausschusses auch die überarbeitete Folgenabschätzung veröffentlicht. Darin heißt es zu den angeforderten wissenschaftlichen Grundlagen lediglich: „Die Kriterien beruhen auf einer wissenschaftlichen Literaturanalyse und berücksichtigen die Arbeit der GFS und der EFSA sowie die Rückmeldungen, die im Rahmen der Konsultation zu dieser Folgenabschätzung eingegangen sind“. GFS steht für die Gemeinsame Forschungsstelle der Kommission und EFSA für deren Lebensmittelbehörde. Auch im jüngst geleakten Verordnungsvorschlag hat die EU-Kommission wenig geändert: Die genannten Kriterien sind weitgehend identisch mit denen in der angegriffenen Folgenabschätzung.

Auch bei den anderen bemängelten Punkten blieb die Folgenabschätzung unverändert knapp. Zum erhöhten Aufwand in der Qualitätssicherung für gentechnikfrei wirtschaftende Ökobetriebe heißt es lediglich: „Dies wird zusätzliche Kosten und Belastungen für die ökologischen Unternehmer mit sich bringen, die die Kosten für die Trennung der Erzeugnisse tragen werden. Es liegen jedoch keine quantitativen Schätzungen vor.“ Tatsächlich gibt es seit den Koexistenzdebatten um den Anbau klassischer Gentech-Pflanzen mehrere Studien zu möglichen Koexistenzkosten, die die Kommission hätte heranziehen können. Stattdessen hat sie bereits wissen lassen, dass sich um Koexistenzregelungen die Mitgliedsstaaten kümmern sollen.

Auch bei möglichen Nachfragerückgängen schiebt die EU-Kommission der Biobranche den schwarzen Peter zu: In ihrem Bericht räumt sie zwar ein, dass eine Freigabe von NGT-Pflanzen das Vertrauen der Verbraucher:innen beeinträchtigen könnte, dass ökologische Produkte nicht gentechnisch verunreinigt sind. Zu möglichen Folgen eines solchen Vertrauensverlusts für die Betriebe schweigt sie aber. Sie verweist nur darauf, dass das gesetzliche Verbot von NGT-Pflanzen im Ökolandbau den Verbraucher:innen die Gewissheit gebe, „dass alle Maßnahmen getroffen werden, um das Vorhandensein von NGTs zu vermeiden“. Da sind dann wieder die Biobetriebe in der Pflicht.

Zum Informationsrecht der Verbraucher:innen heißt es in der Folgenabschätzung: Eine Gentechnikkennzeichnung für NGT-Pflanzen, die keiner Risikobewertung und keiner Zulassung unterliegen, könnte „zu Verwirrung über die Eigenschaften und das Sicherheitsprofil des Produkts führen“. Schließlich könnten solche Pflanze nach der Argumentation der Kommission ja auch in der Natur vorkommen oder konventionell gezüchtet werden. „In jedem Fall könnten sich Verbraucher, die NGTs aktiv vermeiden wollen, auf das Bio-Logo verlassen“, fügt die Kommission noch hinzu.

Die knappen Antworten auf Kritikpunkte und die seitenlangen Auflistungen möglicher Vorteile von NGT in der Folgenabschätzung belegen die voreingenommene Haltung der Kommission. Ihre eigenen Richtlinien hingegen schreiben vor, dass eine Folgenabschätzung „transparent, objektiv und ausgewogen“ sein soll. Zwei Umweltorganisationen haben sich deshalb bei der Europäischen Ombudstelle über die EU-Kommission beschwert. Bis zum 24. Juli hat die Kommission nun Zeit, der Ombudstelle eine ganze Reihe von Fragen zu beantworten. Ombudsfrau Emily O’Reilly will unter anderem wissen, wie die Kommission bei ihrer Analyse der Vorteile von NGTs zwischen Meinungen von Interessengruppen und empirischer wissenschaftlicher Forschung unterschieden hat. Auch soll die Kommission darlegen, wie sie ein kritisches Gutachten des deutschen Bundesamtes für Naturschutz (BfN) zu den Umweltrisiken von NGT berücksichtigt hat. Liegt die Antwort vor, wird die Ombudstelle entscheiden, ob sie den Vorgang vertieft untersuchen wird. [lf/vef]

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Kehrtwende: Italien erlaubt Feldversuche mit neuer Gentechnik

Sitzungssaal des italienischen Parlaments Foto:  Quirinale.it, Attribution, via Wikimedia Commons180 Grad-Wende in der italienischen Gentechnik-Politik: Die rechtspopulistische Regierungsmehrheit erlaubt Feldversuche mit Pflanzen, die durch neue gentechnische Verfahren erzeugt wurden. Bei der Zulassung der Versuche müssen bestimmte Risiken nicht mehr bewertet werden. 20 Jahre lang waren Feldversuche mit Gentechnik-Pflanzen in Italien komplett verboten. Die gentechnikkritischen Organisationen äußerten sich entsetzt – auch über das Schweigen der Opposition im Parlament.

Die umstrittene Regelung kam durch die Hintertür ins Parlament. Dieses sollte ein Regierungsdekret mit Maßnahmen zur Dürrekatastrophe in ein Gesetz umwandeln. Dabei fügten Abgeordnete der Regierungsparteien einen zusätzlichen Artikel ein. Er erlaubt Feldversuche mit Pflanzen, deren Erbgut durch neue gentechnische Verfahren (NGT) verändert wurde. Beschränkt sind die Eingriffe auf zielgerichtete Mutationen und Cisgenese, also Erbgutveränderungen, die innerhalb einer Art vorkommen. Als Fachbehörde soll die zentrale italienische Umweltbehörde ISPRA die Anträge bewerten. Für das gesamte Zulassungsverfahren addieren sich die im Artikel genannten Fristen auf gut zwei Monate. Damit es so schnell gehen kann, streicht der Artikel die in einem Gesetz von 2003 verlangten Risikobewertungen für die Artenvielfalt, das landwirtschaftliche System und die Lebensmittelkette. Die neue Regelung gilt vorerst bis Ende 2024, danach soll das Parlament über das weitere Vorgehen entscheiden. Sowohl der Senat als auch die Abgeordnetenkammer stimmten dem derart ergänzten Gesetz zu.

Landwirtschaftsminister Francesco Lollobrigida sprach von einer Vorreiterrolle Italiens und schwärmte von Pflanzen, die widerstandsfähiger gegen Trockenheit und klimatische Veränderungen seien. „Deshalb ist es notwendig, ohne Ideologien und Vorurteile zu investieren und sich bewusst zu machen, dass es sich nicht um GVO handelt“, zitierte ihn die Zeitung La Stampa. Deshalb hat die neue Gentechnik in Italien von der Regierung einen eigenen Namen bekommen. Sie spricht von „Unterstützten Evolutionstechniken“ (italienisch: Tecniche di Evoluzione Assistita – TEA).

„Italien gibt damit seine seit 20 Jahren verfolgte Linie einer strikt GVO-freien Landwirtschaft auf“, kommentierte die aus 37 Organisationen bestehende Koalition GVO-freies Italien und verspricht: „Unsere Verbände werden nicht tatenlos zusehen.“ Man werde den Bürger:innen mitteilen, welche Einzelpersonen und Parteien „Vorschriften aufheben, die der Mehrheit der italienischen Bürger, die gegen GVO sind, am Herzen liegen“. Das zielt nicht nur gegen die regierende Rechte. „Mit Ausnahme der Fraktion der Grünen und Linken (Alleanza Verdi-Sinistra) hätten alle Oppositionsparteien geschwiegen, ärgert sich das Bündnis. Seine Hoffnung setzt es auf die Präsidenten der italienischen Regionen, die sich fast alle vor Jahren als gentechnikfrei erklärt hatten. „In dieser Frage, die die Agrarsysteme der einzelnen Regionen betrifft, haben die lokalen Behörden das Recht, das Verfassungsgebot bezüglich ihrer Befugnisse in der Agrarpolitik zu verteidigen“, heißt es in einer Stellungnahme des Bündnisses.
Aus dessen Sicht sind dürreresistente Pflanzen nur ein vorgeschobenes Argument. In Wahrheit solle das Gesetz „die Kontrolle der Lieferketten der Agrar- und Ernährungswirtschaft durch multinationale Konzerne und mächtige Agrarunternehmen stärken, zum Nachteil der Landwirte, die nun zu bloßen Funktionsarbeitern für die enormen Profite einer Minderheit degradiert werden“. Dass dürreresistente NGT-Pflanzen in Italien nicht so schnell zu erwarten sind, bestätigte Luigi Cattivelli vom italienischen Agrarforschungszentruminstitut Crea. Die italienische Ausgabe von Wired zitiert den gentechnikbegeisterten Forscher mit den Worten: „Bei der Trockenheit ist es komplizierter, denn es handelt sich um ein sehr schwieriges Merkmal, bei dem nicht nur ein einziges Gen im Spiel ist.“ Im Moment gebe es erst einige Hinweise und es sei noch viel Arbeit zu leisten. [lf]

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Gentech-Reisnudeln: Behörden warnen die Deutschen nicht

Reisnudeln mit Tamari-Ingwer-Dressing Foto: Marco Verch, https://t1p.de/dkfum, https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/Zweimal fanden deutsche Behörden in den vergangenen zwölf Monaten Nudeln aus illegalem, gentechnisch verändertem Reis. Sie informierten die europäischen Kolleg:innen, doch die deutschen Verbraucher:innen erfuhren nichts von den Funden und es gab auch keine öffentlichen Rückrufe. Alles sei korrekt gelaufen, sagen die Behörden.

Mit dem europäischen Schnellmeldesystem RASFF informieren sich die Überwachungsbehörden der EU-Mitgliedsstaaten gegenseitig über problematische Funde in Lebensmitteln. Dort finden sich Hinweise auf Salmonellen in Gemüse, Metallteile im Rahmspinat, nicht erlaubte Pestizide im Paprika oder nicht ausgelobte Allergene. Am 11. Januar 2023 meldete Deutschland im RASFF: „Nicht zugelassene, gentechnisch veränderte Organismen in Reisnudeln aus Thailand, via die Niederlande“. Zuvor hatte es bereits am 12. September 2022 eine deutsche Meldung gegeben: „Nicht zugelassene gentechnisch veränderte Reisnudeln aus Vietnam“. In beiden Fällen stammten die Funde von der Lebensmittelüberwachung in Baden-Württemberg. Sie gingen zurück auf Proben, die am 27. September 2022 und am 12. Mai 2022 genommen worden waren. Es lagen also jeweils vier Monate zwischen der Probenahme und der Mitteilung, dass dabei nicht zugelassene, gentechnisch veränderte Organismen (GVO) gefunden worden waren. In beiden Fällen wurde die Öffentlichkeit nicht über das dafür vorgesehene Portal lebensmittelwarnung.de informiert. Auch sind keine Hinweise über andere Portale bekannt.

Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) bestätigte auf Nachfrage, Lebensmittel mit einem nicht zugelassenen GVO seien nicht verkehrsfähig. Sie dürfen also nicht angeboten und verkauft werden. Allerdings liege „die Verantwortung zur Kontrolle des zulässigen Inverkehrbringens und die Durchsetzung geeigneter Maßnahmen bei Nichteinhaltung“ bei den zuständigen Behörden der einzelnen Bundesländer, schrieb das BVL. Die Frage, ob es für den Fall eines Fundes von nicht zugelassenen GVO in Lebensmitteln ein mit den Länderbehörden abgesprochenes einheitliches Vorgehensschema gebe, beantwortete die Behörde nicht.

Das für die Lebensmittelüberwachung in Baden-Württemberg zuständige Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz (MLR) antwortete, die RASFF-Meldungen resultierten „jeweils aus einer Probenahme im Restaurant/Einzelhandel. Dort war kein Warenbestand mehr vorhanden bzw. wurde aus dem Verkauf genommen. Weitere Maßnahmen waren daher unter der Maßgabe der Verhältnismäßigkeit (konkreter Sachverhalt, Lieferdatum, Liefermenge …) nicht anzeigt.“

Nun könnte eine Behörde davon ausgehen, dass der entdeckte illegale GVO auch in anderen Nudeln der gleichen Produktionscharge vorkommt und diese womöglich über gleichartige Verkaufsstätten im eigenen Land und im ganzen Bundesgebiet vertrieben werden und auch monatelang in Vorratsschränken von Verbraucher:innen lagern. Es könnte also durchaus ein öffentliches Interesse an einer Warnung bestehen. Man habe mittels RASFF-System „alle notwendigen Informationen an die für den Importeuer/Großhändler zuständige Behörde in den Niederlanden weitergeleitet, damit von dort weitere Maßnahmen veranlasst werden konnten“, antwortete das MLR. Tatsächlich findet sich im RASFF in Bezug auf die thailändischen Reisnudeln der Hinweis, dass sie außer in Deutschland auch in den Niederlanden, Luxemburg, Österreich, Frankreich, Ungarn, Italien, Belgien, Rumänien und Irland vertrieben wurden. Einige dieser Länder informierten über ergriffene Maßnahmen. In Deutschland passierte laut RASFF nichts mehr.

Geregelt ist die Information der Öffentlichkeit in Paragraf 40 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchs. Demnach soll die Öffentlichkeit informiert werden, wenn gegen Vorschriften verstoßen wurde „die dem Schutz der Endverbraucher vor Gesundheitsgefährdungen dienen“. Die Meldungen im RASFF waren als „potentielles Risiko“ eingestuft, also ebenso hoch wie nicht deklarierte Allergene oder Rückstände unerlaubter Pestizide, die in der Regel zu Rückrufen führen. Zudem heißt es in Paragraf 40 Absatz 1a, dass zu informieren ist, wenn im Lebensmittel ein nicht zugelassener oder verbotener Stoff vorhanden ist. Das MLR erklärte dazu, dass für solche Mitteilungen in Baden-Württemberg Landkreise und Städte zuständig seien und nicht die Länderbehörden. Außerdem seien nach Auffassung des Ministeriums GVO kein „Stoff“ im Sinne dieser Norm.

Das gentechnikkritische französische Portal Inf’OGM hatte sich bei einem thailändischen Biologen erkundigt und von diesem die Information bekommen, dass es in Thailand keine Feldversuche mit gentechnisch verändertem Reis gebe und auch kein illegaler Anbau bekannt sei. Er vermutete, dass für die Nudeln importiertes Reismehl verwendet worden sei. Reismehl aus Indien etwa war in Europa bereits 2021 wegen gentechnischer Verunreinigungen aufgefallen und hatte zu einem länderübergreifenden Rückruf von Schokolinsen geführt (der Infodienst berichtete). Im Mai 2023 meldete der spanische Zoll, dass man 48 Tonnen indische Reismehlproteine, die als Futtermittel deklariert waren, aus dem Verkehr gezogen habe, da sie einen nicht zugelassenen GVO enthielten. Nach Recherchen von Inf’OGM bestritten die indischen Behörden ihre Verantwortung und reagierten auch nicht auf offizielle Anfragen der Europäischen Kommission, die die Hersteller der Reisprodukte ermitteln wollte. [lf]

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Vorschlag geleakt: So will die EU-Kommission das Gentechnikrecht aufweichen

Der Sitz der EU-Kommission in Brüssel. Foto: EmDee - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=91781296Die EU-Kommission will am 5. Juli ihren Verordnungvorschlag zugunsten neuer gentechnischer Verfahren (NGT) vorstellen. Im Vorfeld wurde ein als „sensitiv“ eingestufte Vorschlag, den die Generaldirektion Gesundheit von EU-Kommisarin Stella Kyriakides erarbeitet hat, samt Folgenabschätzung Medien zugespielt. Beschließt die Kommission in ihrer Sitzung am 5. Juli diesen Vorschlag, würden die meisten NGT-Lebensmittel ungekennzeichnet auf den Tellern landen. Entsprechend deutlich ist die Kritik.

Das Portal arc2020.eu hat den vorgeschlagenen Verordnungstext, die Folgenabschätzung sowie zwei Stellungnahmen des kommissionsinternen Regulierungsausschusses veröffentlicht. Die geplante Verordnung würde NGT-Pflanzen und daraus hergestellte Lebens- und Futtermittel in zwei Kategorien einteilen. Kategorie 1 wären alle NGT-Pflanzen, in deren Erbgut beliebig viele Gene an- oder abgeschaltet wurden. Auch dürfen beliebige Genkonstrukte hinzugefügt werden, solange sie von Arten stammen, die natürlich oder mit biotechnologischer Hilfe gekreuzt werden können. Zudem sind auch bei jeder Pflanze bis zu 20 Eingriffe erlaubt, bei denen kleine Erbgut-Sequenzen eingefügt oder entfernt werden.

Alle so entstandenen Pflanzen würden nicht mehr unter das Gentechnikrecht fallen. Für sie gäbe es keinerlei Risikoabschätzung und keine Kennzeichnung mehr. Will ein Hersteller Feldversuche mit einer Pflanze der Kategorie 1 durchführen, meldet er das der zuständigen nationalen Gentechnikbehörde. Diese soll innerhalb eines Monats ihre Entscheidung treffen und diese den Mitgliedsstaaten und der Kommission zur Kommentierung zukommen lassen. Gibt es von diesen innerhalb von 30 Tagen keine Einwände, gilt die Entscheidung der nationalen Behörde über die Einordnung als NGT 1-Pflanze – auch für deren spätere Vermarktung. Gibt es Einwände, soll die EU-Lebensmittelbehörde EFSA binnen eines Monats ein Gutachten erstellen, auf dessen Basis dann die EU-Kommmission entscheidet. Ohne vorgeschaltete Feldversuche wären direkt EFSA und Kommission mit den gleichen Fristen zuständig. Für NGT 1-Pflanzen sieht die Verordnung ein EU-weites Register vor und das Saatgut muss gekennzeichnet sein, damit Anbauende wählen können. Eine weitere Kennzeichnung innerhalb der Lebensmittelkette sieht der Vorschlag nicht vor.

In die Kategorie 2 würden nur Pflanzen fallen, denen größere Erbgut-Sequenzen eingefügt werden oder solche, die von fremden Arten stammen. Auch NGT-Pflanzen mit eingebauter Herbizidresistemz würden in Kategorie 2 fallen. NGT 2-Pflanzen müssten die Hersteller und Verarbeiter weiter kennzeichnen, dürfen sie aber zusätzlich mit Nachhaltigkeitsbehauptungen versehen. Für die Pflanzen soll es eine fallspezifische Risikobewertung geben, deren Details die EU-Kommission gerne selbst festlegen würde. Für die Bewertung und Zulassung von NGT 2-Pflanzen für Feldversuche oder die kommerzielle Vermarktung gelten vergleichbare Regeln wie für NGT 1-Pflanzen

Maßnahmen, um eine Kontamination der gentechnikfreien Land- und Lebensmittelwirtschaft zu verhindern, überlässt der Vorschlag den einzelnen Mitgliedsstaaten. Allerdings verbietet er ihnen, dafür den freien Warenverkehr von NGT 1-Pflanzen und damit auch deren Anbau einzuschränken.

„Kommt der Vorschlag durch, würde das Recht auf gentechnikfreie Erzeugung und das in der EU geltende Vorsorgeprinzip ausgehebelt“, kommentierte Annemarie Volling, Gentechnik-Expertin der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, den Entwurf. „Die Gentechnik-Konzerne bekämen einen Blankocheck, sie könnten ihre Gentechnik-Pflanzen ungeprüft, intransparent und unkontrolliert in unser Saatgut, auf unsere Äcker und Futtertröge bringen und sich ihre Profite sichern“, sagte Volling. „Der Entwurf der EU-Kommission ist unterm Strich desaströs für die mehr als 80 Prozent der Verbraucher*innen, die keine Gentechnik auf ihrem Teller wollen“, sagte Olaf Bandt, Vorsitzender des Umweltverbandes BUND. Der Vorschlag sei auch desaströs für die europäische Landwirtschaft, „denn die Bezeichnung ‚ohne Gentechnik‘ und die Unabhängigkeit von patentiertem Saatgut war für sie bisher ein Wettbewerbsvorteil“. Tina Andres, Vorsitzende des Bio-Dachverbandes BÖLW, sagte: „Der Gentechnik-Gesetzentwurf ist eine Ohrfeige für Verbraucherschutz und Wahlfreiheit und treibt Bauern durch Patente in die Abhängigkeit von Gentechnikkonzernen“. Die Kriterien, mit denen zwischen den zwei Kategorien unterschieden werde, seien nicht wissenschaftsbasiert sondern „völlig willkürlich gewählt“, kritisierte Andres. Bernd Rodekohr von der Aurelia-Stuftung verwies darauf, dass sich die großen Agrarkonzerne „bereits heute in großem Stil Gensequenzen, die in der Natur vorkommen, als ‚Crispr‘-Pflanzen patentieren“ ließen. Nicht die Gentechnik, sondern der Ökolandbau sei das einzig funktionierende System für eine nachhaltige Land- und Lebensmittelwirtschaft sagte Kathrin Jäckel, Geschäftsführerin des Bundesverbandes Naturkost Naturwaren.

Die Ampel-Parteien zeigte sich uneins. Der grüne Abgeordnete Kar Bär warnte im ZDF vor dem „Ende der ökologischen Landwirtschaft“, SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch sagte auf proplanta.de: „Das macht die SPD nicht mit“. Das von der FDP geführte Bundesforschungsministerium hingegen habe hingegen „grundsätzliche Unterstützung signalisiert“, meldete das ZDF.

Arc2020.eu schrieb zur Veröffentlichung der Vorschläge, diese befänden sich nun „in der sogenannten dienststellenübergreifenden Konsultation innerhalb der Generaldirektionen der Kommission und soll am 5. Juli vom Kollegium der Kommission angenommen werden“. In diesem Prozess könne sich der Text „in den nächsten Wochen noch ändern“. Die Kommission beschließt solche Vorlagen üblicherweise im Konsent. Besondere Bedeutung kommt dabei Kommissions-Vizepräsident Frans Timmermans zu. Er hat in den vergangeneen Wochen mehrfach betont, dass es eine NGT-Regelung nur gebe, wenn Europaparlament und Ministerrat auch den beiden EU-Vorschlägen zustimmen, die Pestizide reduzieren und die Natur wiederherstellen sollen. [lf]

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