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Behörde: Gentechnik-Entwurf der EU-Kommission unwissenschaftlich

Labor GenomsquenzierungDie für Lebensmittelsicherheit zuständige französische Behörde Anses hat den Regelungsentwurf der Europäischen Kommission für neue gentechnische Verfahren (NGT) in der Landwirtschaft zerpflückt. So seien die Kriterien, nach denen die meisten NGT-Pflanzen in die weitgehend regelungsfreie Kategorie 1 einsortiert werden sollen, wissenschaftlich nicht fundiert. In ihrem Bericht – veröffentlicht Ende Dezember – stützt Anses damit die Kritik vieler Organisationen, die bisher von Befürworter:innen des Vorschlags als unwissenschaftlich abgetan wurde.

Nach dem Vorschlag der EU-Kommission müssen NGT1-Pflanzen „Kriterien für die Gleichwertigkeit mit herkömmlichen Pflanzen“ erfüllen. Diese im Anhang I der geplanten Verordnung aufgeführten Kriterien beziehen sich nur auf Änderungen im Genom. Sie erlauben es den Gentechniker:innen, an bis zu 20 Stellen ins Erbgut einzugreifen. Dazu dürfen sie 20 kleine Erbgut-Bausteine, die Nukleotide, einfügen oder ersetzen. Sie können zudem beliebige Gene an- oder abschalten sowie Genkonstrukte hinzufügen oder austauschen, die von verwandten Arten stammen.
Die Expert:innen der Anses bezeichnen diese Kriterien als „wissenschaftlich unzureichend begründet“. Dabei beziehen sie sich sowohl auf die vorgeschlagene Obergrenze von 20 Bausteinen für akzeptable genetische Veränderungen als auch auf die Erlaubnis, beliebig viele Gene an- oder abzuschalten. Sie kritisieren auch, dass bei der Einordnung in Kategorie 1 nicht geprüft werde, ob eine Veränderung überhaupt durch konventionelle Techniken erreicht werden könnte. Ebenso würden unbeabsichtigte genetische Veränderungen abseits der Zielorte nicht berücksichtigt.

Keinerlei wissenschaftliche Begründung sehen die Anses-Expert:innen für die Annahme der EU-Kommission, dass NGT1-Pflanzen das gleiche Risiko aufweisen würden wie herkömmlich gezüchtete Pflanzen. Das Risiko einer NGT-Pflanze „ist nicht direkt proportional zu einer bestimmten Anzahl von Veränderungen“, heißt es im Bericht. Der Schwellenwert von 20 für das Einfügen oder Ersetzen von Nukleotiden „ist biologisch nicht sinnvoll“, die Risiken seien „nicht proportional zur Länge der Sequenz“. Zusammenfassend schreibt Anses, diese Techniken könnten zu Veränderungen der biologischen Funktionen der Pflanzen führen, „die im Vorschlag der Kommission für Kategorie 1 nicht berücksichtigt werden und bei denen nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie Risiken für die Gesundheit und die Umwelt mit sich bringen können“. Neben der fehlenden wissenschaftlichen Begründung der Kriterien und den nicht berücksichtigten potentiellen Risiken kritisiert der Bericht auch zahlreiche unklare und für die Behördenarbeit untaugliche Definitionen in dem Verordnungsvorschlag, etwa „Zielort“ oder „Genpool der Züchter“.

„Es wäre untertrieben zu sagen, dass die Experten von Anses mit der Europäischen Kommission und ihren wissenschaftlichen Argumenten hart ins Gericht gehen“, kommentierte die gentechnikkritische französische Plattform Inf‘OGM den Bericht. Doch diese Argumente sind nicht nur die der Kommission. Sie wurden in den vergangenen Jahren auch von wissenschaftlichen Organisationen und Akademien wie der Leopoldina oder der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG geteilt. Wer diese Vorstellungen kritisierte oder ablehnte, sei gerne als ahnungslos, ideologisch motiviert oder wissenschaftsfeindlich hingestellt worden, schreibt Christoph Habermann im Blog der Republik – und hier auf der Meinungsseite des Infodienstes. „Spätestens nach der Stellungnahme der fachlich zuständigen französischen Behörde blamieren sich alle, die glauben, man könne die Debatte auf diesem Niveau führen“, fährt der SPD-Politiker im Ruhestand mit Verweis auf die FDP-Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger fort und fragt sich, ob diejenigen, „die sich als die angeblich einzigen Hüter der Wissenschaftlichkeit aufspielen, die wissenschaftlichen Argumente gegen ihre Vorstellungen ernst nehmen“ werden.

Von diesen Argumenten gibt es – neben dem Anses-Bericht – viele: So hat etwa die Wissenschaftsvereinigung Ensser (European Network of Scientists for Social and Environmental Responsibility) schon im April 2021 die Stellungnahmen der Leopoldina und des Verbands der Europäischen Wissenschaftsakademien analysiert und als „verzerrte Wissenschaft“ bewertet. Im Oktober 2023 nahm Ensser zum Vorschlag der EU-Kommission Stellung und kam aufgrund der gleichen Argumente wie Anses zu dem Ergebnis: „Die postulierte ‚Gleichwertigkeit‘ zwischen NGT-Pflanzen und konventionellen Pflanzen ist also willkürlich konstruiert und stellt lediglich eine politische, keine wissenschaftliche Einordnung dar.“ Zu dem Ergebnis, dass NGT-Eingriffe zu Änderungen führen können, die nicht mit herkömmlicher Züchtung erreicht werden können, kam auch die Fachstelle Gentechnik und Umwelt in einer Literaturauswertung.
Im November äußerten über 100 Wissenschaftler aus verschiedensten Fachrichtungen ihre Besorgnis über den Kommissionsvorschlag, seine mangelnde Qualität und die möglichen sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Folgen. Im Dezember warnte eine Gruppe europäischer Wissenschaftler:innen in einem gemeinsamen Statement davor, NGT-Pflanzen ohne Risikoprüfung in der EU zuzulassen. Ebenfalls im Dezember kam die Gesellschaft für Ökologie zu dem Schluss, dass der Kommissionsvorschlag grundlegende Prinzipien der Ökologie nicht anerkenne und die willkürliche Schwelle zwischen NGT1 und NGT2 keine Umweltrisiken berücksichtige. Es gibt auch Behörden, die diese wissenschaftliche Kritik untermauern, etwa das deutsche Bundesamt für Naturschutz. Dessen Expert:innen schreiben in einem aktuellen Bericht, dass bestimmte NGT1-Pflanzen ähnliche Umweltrisiken bergen können wie herkömmliche gentechnisch veränderte Organismen – und deshalb ebenso reglementiert werden müssen. [lf]

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