Die unterschriebenen "Postkarten" der von rund 30 Verbänden und Bio-Unternehmen gestarteten Aktion richten sich gegen den Verordnungsvorschlag der EU-Kommission zur Deregulierung von Pflanzen aus neuer Gentechnik (NGT). Die 60.000 Unterzeichnenden verlangen für NGT-Pflanzen eine konsequente Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit, ein Zulassungsverfahren mit Risikoprüfung, sowie klare Haftungsregelungen und Maßnahmen, um die gentechnikfreie Land- und Lebensmittelwirtschaft zu schützen. Patente auf Saatgut, Pflanzen oder Tiere lehnen sie ab. „Eine unkontrollierte Freisetzung neuer Gentechnik hier in Europa bringt die Bio-Branche in große Bedrängnis. Im aktuellen Gesetzesvorschlag ist weder die Kennzeichnung noch die Rückverfolgbarkeit oder die Frage der Haftung geklärt", kritisierte Seraphine Wilhelm. Sie ist Geschäftsführerin des Allgäuer Bio-Herstellers Rapunzel, der die Aktion initiierte.

Im Trilogverfahren müssen die EU-Mitgliedstaaten, das Europaparlament und die EU-Kommission die endgültigen Formulierungen im NGT-Verordnungsvorschlag festlegen. Dabei sind sich die EU-Kommission und die Mehrheit der Mitgliedstaaten weitgehend einig. Das Europaparlament hingegen hatte in seiner im Februar 2024 verabschiedeten Stellungnahme in zwei Punkten mit knapper Mehrheit eine andere Position eingenommen. Die Abgeordneten wollen eine durchgehende Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit von NGT entlang der gesamten Lebensmittelkette. Und sie wollen die Verordnung so ergänzen, dass Patente auf NGT-Pflanzen weitgehend ausgeschlossen sind. Heute hat der beim NGT-Thema federführende Umweltausschuss des Europaparlaments ohne weitere Aussprache beschlossen, darüber nun im Trilog zu verhandeln.

Federführende Unterhändlerin des EP im NGT-Trilog wird die EVP-Abgeordnete Jessica Polfjärd sein. Die Forderung nach einer umfassenden Kennzeichnung kam gegen den Willen Polfjärds und der EVP in die Parlamentsposition. Aufgrund dieser Ablehnung befürchten die NGT-kritischen EP-Fraktionen, dass die EVP im Trilog die umfassende Kennzeichnung zur Disposition stellen wird, anstatt sie durchzusetzen. „Die konservative Verhandlungsführerin im Parlament muss den Willen der EU-Bürger respektieren und darf hier in den Verhandlungen mit Rat und Kommission keine Abstriche machen“, mahnte deshalb der grüne Europaabgeordnete Martin Häusling.

Manfred Weber, an den die gesammelten Aktionspostkarten gerichtet sind, ist Vorsitzender der konservativen Parteienfamilie EVP im Europaparlament. Doch für ein Gespräch in seinem niederbayerischen Wahlkreisbüro in Straubing nahm er sich keine Zeit. „Trotz frühzeitiger Anmeldung des Termins und mehrfacher Kontaktaufnahme gab es keinerlei Stellungnahme oder Gesprächsbereitschaft“, bedauerte die Aktion "Kein Freiflug für Gentechnik". Die Partei des stellvertretenden CSU-Vorsitzenden scheint in der Frage der NGT-Kennzeichnung gespalten. Im Februar 2024 stimmten die CSU-Abgeordneten im Europaparlament dagegen; Weber fehlte bei dieser Abstimmung. Als am 24. April 2024 das Parlament den Kompromiss mit Kennzeichnungspflicht bestätigte, stimmte Weber ohne Angabe von Gründen gegen die EVP-Vorlage, seine Parteikollegin Marlene Mortler mit dem Großteil der EVP-Fraktion dafür. Die anderen vier CSU-Europaabgeordneten fehlten, darunter Angelika Niebler. Sie teilte später auf Anfrage mit, sie habe dem Vorschlag "nicht zugestimmt", da die Kritiker "sehr gute Argumente vorgetragen haben".

Vorletzte Woche auf der Agrarministerkonferenz fehlte Bayern bei den Bundesländern, die eine NGT-Kennzeichnung explizit ablehnten. Auf Nachfrage des Infodienstes schrieb die Pressestelle der bayerischen Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber (CSU), die Ministerin begrüße ausdrücklich die Position des Europaparlaments im Hinblick auf den „Ausschluss der Patentierbarkeit“ und die „Kennzeichnungspflicht von Pflanzen und Erzeugnissen aller NGT-Kategorien“. Auch in anderen Punkten sei die Haltung der Ministerin klar: „Mit Blick auf die Agrarstrukturen vor Ort muss auch weiterhin den Mitgliedstaaten und Regionen ermöglicht werden, über den Anbau gentechnisch erzeugter Pflanzen selbst zu entscheiden.... In Bezug auf Verunreinigung mit NGT-Material, auch hinsichtlich des Patentrechts, ist eine Klärung der Haftungsfrage erforderlich“. Und weiter: „Es darf keinesfalls zu einer Ausweitung der Patentierung kommen, die Züchter und auch Landwirte einschränkt“.

Zusätzliche Bedeutung bekommen diese Festlegungen, weil Kaniber inzwischen als mögliche Bundeslandwirtschaftsministerin gehandelt wird. Die CSU hatte schon vor der Wahl dieses Ministerium für sich reklamiert, doch der vorgesehene Kandidat, Bayerns Bauernverbandspräsident Günther Felßner, zog zurück. Wenn der Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD ausgehandelt ist, wird sich zeigen, ob sich die Position der bayerischen Landwirtschaftsministerin zum Thema NGT dort wiederfindet oder ob sich die CDU durchgesetzt hat, die eine NGT-Kennzeichnung ablehnt. Für Tina Andres, Vorstandsvorsitzende des Bio-Spitzenverbands BÖLW, ist angesichts der unterschiedlichen Positionen klar: „Die Union und ihre Abgeordneten im Europaparlament müssen jetzt dringend klären, ob sie den Bürgerinnen und Bürgern gegen deren erklärten Willen Gentechnik-Produkte unterjubeln wollen.“ [lf/vef]

UPDATE am 08.04.2025: Artikel überarbeitet und Ergebnis der heutigen Abstimmung im Umweltausschuss des Europaparlaments sowie das Abstimmungsverhalten der CSU-Europaabgeordneten vom 24. April 2024 eingefügt (mit Links).