Europaflagge, Foto: Greg Montani https://pixabay.com/de/photos/europa-flagge-sterne-fahne-1395913/Das europäische Parlament (EP) hat heute dem Verordnungsentwurf der EU-Kommission zum Einsatz neuer gentechnischer Verfahren (NGT) bei Nutzpflanzen mit zahlreichen Änderungen mehrheitlich zugestimmt. So plädierten die Abgeordneten etwa dafür, Erzeugnisse zu kennzeichnen, die NGT-Pflanzen enthalten. Unter den EU-Mitgliedstaaten dagegen fand sich bei einem Treffen ihrer ständigen Vertreter erneut keine qualifizierte Mehrheit für eine gemeinsame Position. Damit scheint einzutreten, was der spanische Agrarminister im Januar prophezeite: Die geplante NGT-Verordnung kann vor der Europawahl im Juni nicht mehr verabschiedet werden. Grundlage der Abstimmung im EP war eine Vorlage der konservativen Berichterstatterin Jessica Polfjärd, die der federführende Umweltausschuss am 24. Januar beschlossen hatte. Anders als darin vorgeschlagen, nahm das Parlament auf Antrag von Sozialdemokraten und Grünen mit 317 zu 302 Stimmen eine Kennzeichnungspflicht für sämtliche NGT-Pflanzen in den Verordnungstext auf. Demnach muss bei NGT-Pflanzen der privilegierten Kategorie 1 nicht nur das Saatgut gekennzeichnet werden, sondern auch die Pflanzen selbst sowie Erzeugnisse, die NGT 1 Pflanzen enthalten oder aus ihnen bestehen. „Neuartige genomische Verfahren“ soll dann auf dem Etikett stehen. Die Informationen dazu sind entlang der Produktionskette zu speichern und zu übermitteln. Damit berücksichtigte das Parlament eine Kernforderung zahlreicher Lebensmittelunternehmen, Umwelt-, Agrar- und Verbraucherverbände, die eine Kennzeichnung als Voraussetzung für die Wahlfreiheit von Verbraucher:innen wie (Land)Wirtschaftsbetrieben gefordert hatten. Positiv bewerten dürften die Verbände auch die neue Möglichkeit, eine einmal ausgesprochene Anerkennung als NGT 1-Pflanze zu widerrufen, wenn sich die Datenlage ändert und sich unerwartete Risiken zeigen. Das war bislang nicht vorgesehen. Paradoxerweise haben die Parlamentarier aber gleichzeitig die Risikoprüfung eingeschränkt: Während der Umweltausschuss des EP beschlossen hatte, dass NGT 1-Pflanzen vor ihrer Anerkennung einen Sicherheitscheck im Labor durchlaufen müssen, lehnte das Plenum diese Regelung mehrheitlich ab. Knapp scheiterte mit 302 zu 306 auch ein Antrag, der die EU-Mitgliedstaaten dazu verpflichtet hätte, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, „um das unbeabsichtigte Vorhandensein von (sämtlichen, Anm.d.Red.) NGT-Pflanzen und Teilen oder Rückständen davon in anderen Kulturen und Erzeugnissen zu vermeiden“. Damit greift wieder die von der EU-Kommission vorgeschlagenen Regelung, bei NGT-Pflanzen der Kategorie 2 „sollen“ die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen für eine unbeschadete Koexistenz mit gentechnikfreiem Anbau treffen. Auch der Vorschlag, die Hersteller von NGT zu einem Entschädigungsfonds zu verpflichten, blieb ohne Mehrheit. Das umstrittene Thema der Patentierung von NGT-Pflanzen fand sich in einigen angenommenen Anträgen wieder. So sollen Formulierungen die Biopatentrichtlinie 98/44/EG ergänzen, wonach NGT-Patente nicht für natürliche Pflanzen mit den gleichen genetischen Eigenschaften gelten. In Fällen, wo sich patentierbare NGT-Pflanzen nicht von natürlichen unterscheiden lassen, soll kein Patentanspruch bestehen. Dazu passend sollen Hersteller, die eine Pflanze für die privilegierte Kategorie 1 anmelden wollen, auch Informationen über anhängige Patentverfahren oder erteilte Patente vorlegen. Ebenso sollen die Anmeldeunterlagen nun einen „Plan zur Überwachung von Umweltauswirkungen“ enthalten. Insgesamt stimmte das EP-Plenum heute mehr als 300 Änderungsanträge zum NGT-Vorschlag der EU-Kommission ab, teils erneut solche, die in den Ausschüssen für Umwelt und Agrar bereits abgelehnt worden waren. Der so abgeänderte Entwurf der Berichterstatterin wurde am Ende mit 307 Ja, 263 Nein und 41 Enthaltungen verabschiedet. Zugleich erteilte das Parlament das Mandat, mit Ministerrat und EU-Kommission Trilog-Verhandlungen aufzunehmen, um zu einem endgültigen Kompromiss aller Beteiligten Organe zu kommen. Die Trilog-Verhandlungen können jedoch erst starten, wenn auch der Ministerrat der EU-Staaten eine gemeinsame Position gefunden hat. Dafür hatte die spanische Ratspräsidentschaft im Dezember einen Kompromissvorschlag vorgelegt, den jedoch keine qualifizierte Mehrheit der Staaten unterstützte. Der seit Januar amtierende belgische Ratspräsident hat den Vorschlag nur unwesentlich ergänzt: Um die umstrittene Patentfrage soll sich eine Expertengruppe kümmern und die Bitte von Staaten mit kleinen Inseln um eine Opt out-Möglichkeit wurde in den Erwägungsgründen berücksichtigt. Das war offenbar zu wenig. Denn bei ihrem heutigen Treffen signalisierten die ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten keine qualifizierte Mehrheit für diesen Kompromiss. Das bestätigte eine EU-Quelle dem Infodienst Gentechnik auf Anfrage. Dem Vernehmen nach sprachen sich 16 EU-Staaten für den Kompromiss aus, darunter Frankreich. Diese repräsentierten jedoch weniger als 60 Prozent der EU-Bevölkerung statt der nötigen 65 Prozent. „Der Ratsvorsitz wird die Situation prüfen und in den nächsten Tagen entscheiden, wie die Arbeit fortgesetzt werden kann“, schrieb eine EU-Mitarbeiterin dem Infodienst. Beobachter gehen davon aus, dass es nun schon rein zeitlich nicht mehr möglich sein wird, den Trilog bis Ende Februar abzuschließen. Und das wäre laut EU-Quelle nötig, um die NGT-Verordnung noch bis zur letzten EP-Sitzung dieser Legislatur verabschieden zu können. Der grüne Europaabgeordnete Martin Häusling nannte die Entscheidung des Parlaments einen „politischen Offenbarungseid“. Im Interesse der Agrarindustrie sei im Hauruck-Verfahren der Weg frei gemacht worden für höchst bedenkliche Regelungen und einen fahrlässigen Umgang mit Neuer Gentechnik. „Die Konservativen (um CDU/CSU) und Liberalen haben heute mehrheitlich das Vorsorgeprinzip mit Füßen getreten“, sagte die SPD-Europaabgeordnete Maria Noichl. Mit den verabschiedeten Vorschlägen käme ein Großteil der genmanipulierten und potentiell umweltschädlichen Pflanzen bald ohne Risikoprüfung auf die Teller der Verbraucherinnen und Verbraucher. Der deutsche Agrarminister Cem Özdemir, der sich im Agrarrat bislang enthalten hatte, sieht sich in seiner Linie bestätigt: „Die sich widersprechenden Abstimmungsergebnisse zum Umgang mit gentechnisch veränderten Pflanzen zeigen: Es liegt noch kein tragfähiger Vorschlag vor, der den Interessen von Landwirtschaft, Verbraucherinnen und Verbrauchern und Lebensmittelwirtschaft gerecht wird“, so der Grünen-Politiker. „Weiterhin sind viele zentrale Fragen ungeklärt: Stichworte Koexistenz, Wahlfreiheit, Patente. Es ist wichtig, dass wir uns jetzt in Ruhe mit diesen komplexen Fragen auseinandersetzen. Gründlichkeit geht hier vor Schnelligkeit." [lf/vef]