Protestaktion von Save our Seeds und Aurelia-Stiftung vor dem Kanzleramt.  Foto: Aurelia-StiftungDie gentechnikkritische Bewegung hatte schon vor Weihnachten Grund zu feiern: Der spanische Agrarminister hat es diese Woche aufgegeben, bis zum Ende seiner Ratspräsidentschaft am 31.12. eine Einigung im Ministerrat über den Verordnungsvorschlag der EU-Kommission zu neuen gentechnischen Verfahren (NGT) in der Landwirtschaft zu erreichen. Die Bedächtigen unter den EU-Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, haben den geplanten Durchmarsch ausgebremst. Wie die Organisationen der Zivilgesellschaft Einfluss genommen haben und was Sie weiterhin gegen eine Aufweichung der NGT-Regeln tun können, finden Sie im Text und den anschließenden Links. Morgen treffen sich noch einmal die Ständigen Vertreter der EU-Staaten im sogenannten Coreper-Ausschuss zur letzten Sitzung in diesem Jahr. Die Tagesordnung ist voll, doch ein Punkt hat sich verflüchtigt: Die Verabschiedung einer gemeinsamen Position zum NGT-Verordnungsvorschlag ist abgesagt. Der amtierenden spanischen Ratspräsidentschaft ist es nicht gelungen, hinter den Kulissen doch noch eine qualifizierte Mehrheit für ihre letzte Woche im Ministerrat gescheiterte Vorlage zu gewinnen. Wie berichtet wollte Spanien die neue polnische Regierung auf seine Seite ziehen; diese hat nach Informationen das Portals Euractiv jedoch abgelehnt. Mit dem Jahreswechsel übernehmen die Belgier für ein halbes Jahr die Ratspräsidentschaft. Ihr Agrarminister David Clarinval zeigte sich gegenüber dem Newsportal Archyde.com als Befürworter von NGT und zählte es zu seinen drei Prioritäten, hier eine Ratsposition zu erreichen. In einem Interview mit dem Magazin Politico sagte er, er wolle die Frage der NGT-Patente angehen, um Mitgliedstaaten, die sich bisher enthalten hätten, für eine Zustimmung zu gewinnen. Clarinval ist Mitglied der liberalen belgischen Partei MR (Mouvement Réformateur), die der europäischen Partei Renew angehört. Doch das Thema ist auch in Belgien umstritten, die dortige Sieben-Parteien-Koalition hat – ähnlich wie die deutsche Ampel - keine gemeinsame Position. Unter anderem deshalb hatte Belgien sich bisher im Agrarrat selbst zum Thema NGT enthalten. Nach der Weihnachtspause wird das Thema NGT im Januar in Brüssel schnell wieder Fahrt aufnehmen. Clarinval will seinen Ministerkolleg:innen am 8. Januar in einem Sonderausschuss sein Arbeitsprogramm vorstellen. Direkt danach wird er voraussichtlich in den Coreper-Sitzungen in der zweiten und dritten Januarwoche versuchen, den von den Spaniern vorgelegten Kompromissvorschlag so zu modifizieren, dass er Chancen auf eine qualifizierte Mehrheit hat. Sollte dies gelingen, könnte der Agrarministerrat am 22./23. Januar diese Position beschließen. Ob der Belgier in der kurzen Zeit die Kritiker umstimmen kann, erscheint jedoch fraglich. Im Europäischen Parlament (EP) will der Umweltausschuss am 24. Januar seinen Bericht zum NGT-Vorschlag der Kommission beschließen, den dann das Plenum des EP im Februar bestätigen soll. Für die gentechnikkritischen Organisationen der Zivilgesellschaft bedeutet dies, dass über Weihnachten erstmal Zeit ist, die Erfolge der letzten Wochen zu feiern. „Der Angriff auf die Wahlfreiheit von Verbraucherinnen und Verbraucher wurde fürs Erste abgewehrt“, freute sich Antje von Broock, Geschäftsführerin des Umweltverbandes BUND. Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) sah einen ersten wichtigen Etappensieg für die gentechnikfreie Landwirtschaft. Der Verband Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG) sprach von einer Atempause und den grünen EU-Abgeordneten Martin Häusling stimmte das Scheitern der Spanier „ein wenig hoffnungsvoll“. Gleichzeitig ist es den Organisationen gelungen, mehr öffentliche Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken. 139 Verbände mit mehr als zehn Millionen Mitgliedern forderten in einem Positionspapier, das unter anderem an die Bundesregierung geschickt wurde, neue Gentechnik in der Landwirtschaft strikt zu regulieren. Stand heute fast 65.000 Menschen haben innerhalb von drei Wochen die Petition „Kennzeichnung und Regulierung aller Gentechnik-Pflanzen erhalten!“ der Bio-Bäuerin Barbara Endraß unterschrieben. Mehr als 30.000 Menschen schickten den EU-Abgeordneten im Agrar- und im Umweltausschuss eine Mail und forderten sie auf, den NGT-Vorschlag der EU-Kommission zurückzuweisen. Unzählige Plakate in der Berliner Innenstadt und die Webseite www.scholz-gentechnik.de erinnern Bundeskanzler Olaf Scholz an sein Wahlversprechen, er werde sich „auf allen Ebenen für eine strikte Regulierung der neuen Gentechniken einsetzen“. Das ist offenbar nötig. „Auch der Kanzler fordert von Özdemir, seine Ablehnung aufzugeben“ titelte die Südwestpresse kürzlich über einem Artikel zur geplanten EU-Verordnung. Dafür wurde ihrem Berliner Korrespondenten die Information gesteckt, das Kanzleramt habe in mehreren internen Runden deutlich gemacht, dass der Agrarminister seinen Widerstand aufgeben und dem Kommissionsvorschlag im Agrarrat zustimmen solle. Dass diese Schelte ausgerechnet in Baden-Württemberg verbreitet wurde, wo der Grünenpolitiker Özdemir Ministerpräsident Kretschmann zu beerben hofft, dürfte kein Zufall sein. Dabei bleibt die Haltung zur neuen Gentechnik sogar innerhalb der SPD umstritten: Die Fachpolitiker:innen in der Bundestagsfraktion pochen weiterhin auf das Vorsorgeprinzip und eine durchgehende Kennzeichnung auch für NGT. Es dürfte also auch im neuen Jahr sowohl auf nationaler wie auf europäischer Ebene anhaltend intensiv über NGT-Regeln diskutiert werden. „Es ist weiter viel Überzeugungsarbeit auf allen Ebenen nötig!“, mahnt dementsprechend VLOG-Geschäftsführer Alexander Hissting. Zu den bereits erwähnten Aktionen der Zivilgesellschaft kommt am 20. Januar noch die "Wir haben es satt"-Demonstration in Berlin hinzu, die in diesem Jahr speziell eine gentechnikfreie, bäuerliche und umweltverträgliche Landwirtschaft fordert. „Für Verbraucher*innen und Landwirt*innen steht die Selbstbestimmung auf dem Spiel!“, heißt es im Demo-Aufruf. „Wenn die Bundesregierung die geplante Deregulierung der europäischen Gesetzgebung zulässt, können wir alle nicht mehr frei entscheiden, ob wir Gentechnik auf dem Teller oder Acker haben.“ Also dann auf ein Neues in 2024! Das Team des Informationsdienstes Gentechnik wünscht allen Leserinnen und Lesern ein Frohes Fest und alles Gute fürs neue Jahr. Wir werden Ihnen weiterhin kompetent und zuverlässig die neusten Infos zu den laufenden NGT-Debatten liefern und freuen uns natürlich immer über eine Spende.