Trotz zahlreicher Differenzen über die geplante europäische Verordnung zu genomeditierten Pflanzen bleibt es Ziel der spanischen Ratspräsidentschaft, die EU-Mitgliedstaaten bis 12. Dezember zu einem Kompromiss zu führen. Das ließ der designierte spanische Agrarminister gestern dem Agrarrat in Brüssel ausrichten. Damit die EU-Länder sich auf die Herausforderungen der neuen gentechnischen Verfahren (NGT) einstellen können, schlug Kroatien vor, ihnen mindestens sieben Jahre lang zu erlauben, solche Pflanzen national zu verbieten. Fast 140 Verbände forderten die Politik auf, die geplante Verordnung komplett zu stoppen.
Auch einige EU-Staaten bremsten. Polen hielt es gar nicht für nötig, NGT-Pflanzen in einer eigenen Verordnung zu regeln. Nach Ansicht der kroatischen Agrarministerin müssen noch eine ganze Reihe von Problemen für Umwelt, Wirtschaft und menschliche Gesundheit gelöst werden, bevor man über die Verordnung abstimmen kann. Ein Kernpunkt ist dabei die Wahlfreiheit für Verbraucher:innen und Unternehmen, sich für oder gegen gentechnisch veränderte (gv) Produkte zu entscheiden, heißt es in ihrer schriftlichen Vorlage. Um diese sicherzustellen, müssten sämtliche NGT-Pflanzen angemessen gekennzeichnet und überwacht werden. Denn seien sie einmal in die Umwelt freigesetzt, wo sie sich weiter vermehren und ausbreiten, könne das irreversible Schäden verursachen. Kroatien sieht derzeit auch noch technische Grenzen, eine unbeschadete Koexistenz des gentechnikfreien mit dem Anbau von NGT-Pflanzen sicherzustellen.
Wie die Slowakei, Ungarn und Zypern plädierte auch die kroatische Amtskollegin dafür, dass die EU-Staaten weiterhin selbst entscheiden können, ob NGT-Pflanzen auf ihrem Gebiet angebaut werden dürfen oder nicht. Aktuell gibt das europäische Gentechnikrecht diese Möglichkeit. Der jüngste Kompromissvorschlag der spanischen Ratspräsidentschaft vom 10. November, der dem Infodienst Gentechnik vorliegt, sieht sie aber nicht mehr vor. Staaten wie Frankreich oder Litauen verlangten diese Option im Agrarrat zumindest für NGT-Pflanzen, bei denen eine größere Zahl von Genen verändert wurden (Kategorie 2). Gegner des sogenannten „Opt out“ wie Dänemark oder Tschechien warnten, es würde den Wettbewerb innerhalb der EU verzerren. Einen Eingriff in ihre nationale Souveränität sahen Staaten wie Ungarn und Polen auch darin, dass die EU-Kommission laut Verordnungsentwurf künftig allein regeln darf, welche NGT-Pflanzen in die privilegierte Kategorie 1 fallen und damit von Kennzeichnung und Risikoprüfung ausgenommen werden sollen (sog. delegierter Rechtsakt).
Ein großer Kritikpunkt, den der deutsche Agrarminister Cem Özdemir zumindest vor der Sitzung des Agrarrats unterstützte, ist ferner die ungeregelte Patentfrage. Neun weitere EU-Länder – vom NGT-Befürworter Niederlande bis zum Kritiker Polen – forderten in der Sitzung, die geplante Verordnung müsse sicherstellen, dass Landwirte und Züchterinnen weiterhin Zugang zu Pflanzenmaterial behalten und keine Monopole entstehen. Für Griechenland ist dieser Punkt nicht verhandelbar. Die EU-Kommission, die erneut versicherte, sie würde die Bedenken ernst nehmen, beharrt jedoch darauf, die Marktentwicklung erst einmal zu beobachten. Allenfalls könnte sie ihre geplante Evaluation schon vor 2026 vorlegen, hieß es zuletzt.
Den Einsatz von NGT noch weiter liberalisieren als der spanische Kompromissvorschlag wollen Schweden, Portugal und die Niederlande: Sie wollen es auch Biobauern erlauben, NGT-Pflanzen anzubauen, um ihnen die gleichen „Chancen“ zu geben wie der konventionellen Landwirtschaft. Dem stehen allerdings elf EU-Staaten gegenüber, die vor dem (Deutschland) oder im Agrarausschuss appellierten, den Ökolandbau vor Gentechnik zu schützen. Um es mit den Worten Kroatiens zu sagen: Es sei das „legitime Recht der Bioproduzenten“ und für die Weiterentwicklung des Sektors und das Vertrauen der Konsument:innen unerlässlich, sämtliche NGT-Pflanzen in der Bioproduktion zu verbieten.
Die zuständige EU-Gesundheitskommissarin betonte erneut, wie wichtig neue Verfahren in der Agrogentechnik für die Lebensmittelsicherheit in Europa und die Wettbewerbsfähigkeit in der Welt seien. Eine Risikobewertung nur bei komplexeren Genveränderungen vorzusehen, sei verhältnismäßig und entspreche dem Vorsorgeprinzip, sagte Stella Kyriakides. Sie hoffe, vor den Europawahlen im Juni 2024 zu einer Einigung zu kommen. Die spanische Ratspräsidentschaft will zunächst im Agrarrat am 12.12. eine sogenannte „allgemeine Ausrichtung“ beschließen, bevor im Januar dann Belgien Ratspräsident wird. Eine solche „allgemeine Ausrichtung“ (engl: general approach) dient einem beschleunigten Gesetzgebungsverfahren, indem das Europäische Parlament bereits vor seiner eigenen Entscheidung im Januar die Eckpunkte der zu erwartenden Ratsposition erfährt. Ziel ist, dass sich Rat, Parlament und Kommission im anschließenden Trilog schneller einigen.
Einigen EU-Staaten geht das angesichts des großen Diskussionsbedarfs zu schnell. So verwies Polen im Agrarrat darauf, dass die Beschleunigung des Verfahrens nicht dazu beitrage, die offenen Fragen zu klären. Auch Deutschland und Österreich forderten, auf Qualität statt auf Tempo zu setzen. Mehrere EU-Staaten betonten, wie groß das öffentliche Interesse an der Agrogentechnik sei, unter anderem weil eine große Mehrheit der Menschen laut Umfragen keine Gentechnik auf ihren Tellern will. Gerade gestern hatten Agrar- und Umweltorganisationen den deutschen Agrarminister Özdemir in einem offenen Brief erneut aufgefordert, den Verordnungsvorschlag zur neuen Gentechnik abzulehnen.
Sie bezogen sich dabei auf ein Positionspapier von fast 140 Organisationen und Verbänden aus den unterschiedlichsten Bereichen, die alle ein Ziel eint: Sämtliche NGT-Pflanzen sollen auch in Zukunft umfassend auf ihre Risiken geprüft und gekennzeichnet werden. Verbraucherinnen sollen ihre Wahlfreiheit ebenso behalten wie Hersteller und Landwirte. Wie einige EU-Staaten fordern die Organisationen Nachweisverfahren und ein öffentliches Register für solche Pflanzen. „Bitte sorgen Sie … dafür, dass die deutsche Land- und Ernährungswirtschaft auch in Zukunft ihren großen Wettbewerbsvorteil einer gentechnikfreien Erzeugung behalten kann, die Wahlfreiheit der Verbraucher*innen erhalten, das Vorsorgeprinzip gestärkt und die Umwelt geschützt wird“, heißt es im Brief an den deutschen Agrarminister. In der Hoffnung, dass er sich im Dezember auch während der Sitzung des Agrarrats gegen die Verordnung aussprechen wird und nicht nur vor der Tür. [vef]