Die Grünen sind, was die Anwendung neuer gentechnischer Verfahren (NGT) in der Landwirtschaft angeht, gespalten. Das führt die Diskussion um den NGT-Vorschlag der EU-Kommission vor Augen. Vor allem grüne Wissenschaftspolitiker:innen machen sich für den Kommissionsvorschlag stark – gegen die große ablehnende Mehrheit in ihrer Partei und Wählerschaft.
Dieser Streit ist nicht neu; er brach bereits 2018 auf. Die damaligen Vorsitzenden Robert Habeck und Annalena Baerbock nutzten die anstehende Diskussion um ein neues Grundsatzprogramm dazu, die strikt ablehnde Haltung der Partei zur Agro-Gentechnik in Frage zu stellen. Die Grünen „sollten aber noch einmal hinterfragen, ob bestimmte neue Technologien nicht helfen könnten, die Versorgung mit Nahrungsmitteln auch dort zu garantieren, wo der Klimawandel für immer weniger Regen oder für versalzenen Boden sorgt,“ formulierten sie damals. Das motivierte prominente grüne Wissenschaftspolitiker:innen, sich offen für die Anwendung neuer gentechnischer Verfahren auszusprechen. Bei den Abstimmungen zum Grundsatzprogramm im November 2020 konnte sich diese Position nicht durchsetzen. Zur Anwendung der neuen Gentechnik steht jetzt im Grundsatzprogramm: „Es gilt daher, an einem strengen Zulassungsverfahren und am europäisch verankerten Vorsorgeprinzip festzuhalten. Dazu bleiben Risikoprüfungen auf umfassender wissenschaftlicher Basis und eine Regulierung nötig, die unkontrollierbare Verbreitung ausschließen und über eine verbindliche Kennzeichnung die gentechnikfreie Produktion und die Wahlfreiheit der Verbraucher*innen schützen.“ Ebenso hat es auch die Bundestagsfraktion von Bündis90/Die Grünen als Position auf ihrer Webseite formuliert.
Seither war öffentlich Ruhe, nur das Grüne Netzwerk Evidenzbasierte Politik kommentierte gelegentlich die grüne Gentechnikpolitik kritisch. „30 Jahre Forschung, über 3.000 Studien, alle Wissenschaftsorganisationen sind sich einig: grüne Gentechnik ist weder für den Menschen noch für die Umwelt gefährlich“, steht wenig differenzierend auf deren Themenseite Landwirtschaft. Fleißig für ihre Positionen warben und werben im Netz einige studierende und forschende Grüne im Verein Ökoprogressives Netzwerk und dessen Projekt Progressive Agrarwende.
Als die EU-Kommission im Juli ihren NGT-Vorschlag vorlegte, forderten die Hamburger Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank und die baden-württembergische Wissenschaftsministerin Petra Olschowski ihre Parteifreunde in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung auf, ihre Ablehnung des Kommissionsvorschlags zu überdenken. Die frühere baden-württembergische Wissenschaftsministerin Theresia Bauer äußerte sich in der Stuttgarter Zeitung ähnlich. Das Medienecho war breit; das wäre es aber auch, wenn zwei FDP-Landesminister ihre Partei auffordern würden, den Spitzensteuersatz auf 60 Prozent zu erhöhen und eine Vermögenssteuer einzuführen.
Dennoch lässt sich nur schwer abschätzen, wie groß der Einfluss der NGT-Fans in der grünen Partei ist. Zum Grünen Netzwerk Evidenzbasierte Politik gehören zwei Europaabgeordnete und ein Mitglied der Bundestagsfraktion. Die „Gentechnik zeitgemäß regulieren“ wollten im Juni 2020 auch der heutige baden-württembergische Finanzminister Danyal Bayaz und die Stuttgarter Bundestagsabgeordnete Anna Christmann. Der hohe Anteil an grünen NGT-Befürwortern in Baden-Württemberg fällt auf und mag ein Grund dafür sein, dass sich der schwäbische Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir um eine klare Positionierung beim Thema NGT drückt und statt dessen vermitteln will. Schließlich wird Özdemir nachgesagt, er würde gerne den grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann beerben. Die grüne Landtagsfraktion in Stuttgart sah sich immerhin „aus aktuellen Anlass“ genötigt, auf den Koalitionsvertrag zu verweisen und ein Positionspapier zu Gentechnik in der Landwirtschaft zu beschließen. Darin heißt es zu NGT-Pflanzen, man sei „gegen eine Freisetzung dieser Pflanzen in die Umwelt und damit in unserer Nahrungskette“. Der Beschluss sei „mit deutlicher Mehrheit“ gefallen, teilte die Pressestelle der Fraktion mit. [lf]