Die Europäische Kommission hat in einer Konsultation zur zukünftigen Regulierung neuer gentechnischer Verfahren Vertreter der Industrie bevorteilt. Der Agrarkonzern Cargill konnte zum Beispiel gleich auf neun Wegen an der Befragung teilnehmen. Auch steuerte die Kommission die Aufmerksamkeit ihrer Konsultation auf die „vermeintlichen‟ Vorteile der neuen Gentechnik, anstatt die verschiedenen Positionen balanciert zu behandeln.
Die „Freunde der Erde‟ (Friends of the Earth – FoE) haben Anfang März ihren „EU-Lobby-Report 2021 – Wie sich die Gentech-Industrie EU-Gesetze zurechtbiegt‟ veröffentlicht. Für die Analyse hatten sich die europäische Sektion der Umweltorganisation und deren Gruppe in Österreich, Global 2000, eine aktuelle Konsultation genauer angesehen. Diese hatte der Europäische Rat im November 2019 bei der EU-Kommission angefragt. Die Freunde der Erde kommen zu dem Ergebnis, dass die Europäische Kommission ihre eigenen Regeln für Konsultationen nicht befolgt hat. Der wichtigste Kritikpunkt betrifft die Einladungspraxis: Vertreter der Industrie – Agrar, Chemie, Biotech und Pharma – waren deutlich häufiger zu der Konsultation eingeladen als Nichtregierungsorganisationen. Der global agierende Agrarhandelskonzern Cargill zum Beispiel war laut FoE über seine Mitgliedschaft in verschiedenen Verbänden gleich neunfach an der Konsultation beteiligt. Die EU-Kommission hatte, schreibt Global 2000 auf der eigenen Webseite, „offensichtlich kein Interesse daran, den Konsultationsprozess fair zu gestalten‟.
Die Kommission ist nach den eigenen Regeln – zum Beispiel – angehalten, einen privilegierten Zugang bestimmter Stakeholder zu vermeiden. In diesem Sinne soll das gesamte Spektrum möglicher interessierter Gruppen einbezogen werden. Die Freunde der Erde zeigen, dass im aktuellen Prozess nur 14 Prozent der konsultierten Stakeholder Nichtregierungsorganisationen waren, aber 74 Prozent der „Agrarindustrie‟ zugeordnet werden können. Nur 10 Prozent kamen aus Landwirtschaft und Pflanzenzucht. Insgesamt finden sich gut 100 Verbände und Netzwerke auf der Einladungsliste der EU-Kommission, darunter auch 16 Interessengruppen, die überhaupt nicht zu Ernährung, Landwirtschaft oder Saatgut arbeiten. Dieser Zahl stellen die Freunde der Erde gegenüber, dass die Kommission „nur eine Verbrauchergruppe, eine Tierschutzgruppe und vier Umwelt-NGOs zur Teilnahme eingeladen‟ hatte.
Die Umweltorganisation kritisiert auch die Fragen der Konsultation. 7 der 29 Fragen des Fragebogens thematisierten demzufolge den potentiellen Nutzen, nur 3 die Sicherheitsaspekte und Risiken der neuen Gentechnik. Dies sei von besonderer Bedeutung, da die Antworten auf die Fragen in ihrer Länge strikt begrenzt waren, „detaillierte und angemessene Informationen zu den verschiedenen Risiken der neuen GVOs zu liefern‟ sei entsprechend schwierig gewesen.
Die Konsultation steht im direkten Zusammenhang mit einer Studie der EU-Kommission über den rechtlichen Status neuer gentechnischer Verfahren. Auch diese war vom Europäischen Rat Ende 2019 angeregt worden. Beide Vorschläge – Konsultation und Studie – sind im Lichte des Urteils des Europäischen Gerichtshofs EU-GH (Rechtssache C-528/16) vom Juli 2018 zu sehen. Mit diesem hatte der Gerichtshof deutlich gemacht, dass neue gentechnische Verfahren unter dem europäischen Gentechnikrecht zu regulieren seien. Konkret ging es in dem Urteil unter anderem darum, dass bestimmte Techniken – und die mit ihnen hergestellten Pflanzen – aus der EU-Gentechnik-Regulierung ausgenommen werden können. Voraussetzung dafür ist, so der EU-GH, dass sie seit langer Zeit genutzt werden und als sicher gelten. Zu den Techniken, auf die dieses Kriterium zutrifft, zählt zum Beispiel die klassische Mutagenese, die schon seit mehr als 50 Jahren im Verlauf der Entwicklung neuer Pflanzensorten zum Einsatz kommt. Neue Gentechnik-Verfahren wie Crispr/Cas verfügen nicht über eine langjährige sichere Nutzung – für sie kann laut EU-GH eine solche Ausnahme entsprechend nicht gelten.
Die Kommission plant, Studie und Konsultationsergebnisse am 30. April dieses Jahres zu veröffentlichen. Es wird erwartet, dass beides große Bedeutung für die zukünftige Regulierung von gentechnisch veränderten Organismen in der EU und die weiteren Diskussionen darüber haben werden. [cp]Friends of the Earth Europe/ Global 2000: EU-Lobby-Report 2021 – Wie sich die Gentech-Industrie EU-Gesetze zurechtbiegt (04.03.2021)Global 2000: Gentechnik-Industrie biegt sich EU-Gesetze zurecht (04.03.2021)Europäische Kommission: Stakeholders’ consultationEuropäische Kommission: EC study on new genomic techniquesPressemitteilung des EuGH: Durch Mutagenese gewonnene Organismen sind genetisch veränderte Organismen (GVO) und unterliegen grundsätzlich den in der GVO-Richtlinie vorgesehenen Verpflichtungen (25.07.2018)