Philosophie trifft Landwirtschaft: Von der Verantwortungsethik menschlichen Handelns bis zur Heuristik der Furcht reichte die Palette der Argumente beim zweiten Dialogforum des Bundeslandwirtschaftsministeriums, das diese Woche in Berlin stattfand. Kein Wunder, ging es doch um „Kriterien für einen verantwortlichen Umgang mit Genome Editing“.
Das Beispiel leuchtete ein: Wird ein Brand durch einen Blitz ausgelöst, trifft Menschen keine Schuld. Anderes gilt, wenn jemand den Brand gelegt hat. Broder Breckling, Biologe der Universität Vechta, übertrug diesen Gedanken der Verantwortungsethik auf die neuartigen Gentechniken wie CRISPR-Cas: „Dass eine Punktmutation natürlich vorkommt, bedeutet nicht, dass es keine menschlich bewirkte Punktmutation geben kann, die ein unakzeptables Schadensrisiko birgt“, erläuterte der Wissenschaftler. Breiteten sich gentechnisch veränderte Organismen (GVO) aus und kreuzten sich etwa in Ackerunkräuter ein, habe das nicht abschätzbare Folgewirkungen. Der Landschaftsökologe forderte daher, für die Arbeit mit GVO einen Sachkundenachweis und eine Dokumentation zu verlangen. „Ein Ja zur Forschung bedeutet nicht, methodisch Mögliches ohne Sicherheitsüberprüfung freisetzen zu können“, so Breckling.
Zum „Verhältnis von Vorsorgeprinzip und Innovation“ bei den neuen molekularbiologischen Techniken durfte sich dann sogar ein Theologe äußern: Der Furcht den Vorrang zu geben, sei ihm zu defensiv, sagte Markus Vogt von der Ludwig-Maximilians-Universität München. Gesellschaft brauche Innovation. Diese sei danach zu bemessen, wie sie dazu beitrage, gesellschaftliche Ziele umzusetzen. Dabei müsse das Risiko bewertet und sorgfältig abgewogen werden, betonte der Vorsitzende des bayerischen Bioökonomierates. Wie ein Risiko wahrgenommen werde, sei allerdings auch ein gesellschaftliches Produkt und könne durch Vertrauensbildung beeinflusst werden. Bei aller Freude an der Innovation stellte Vogt jedoch abschließend klar, dass er den Versuch der Bundesregierung, das Innovationsprinzip in die Begründung zum Gentechnikgesetz hineinzuschmuggeln, auf keinen Fall für akzeptabel hält.
Ginge es nach Marco Gemballa, sollten die neuen Techniken der Genveränderung nicht dem Gentechnikrecht unterworfen werden. Für ihn sei das neues Werkzeug in seinem großen Werkzeugkasten, sagte der Landwirt, der mit anderen zusammen 560 Hektar Ackerland in Mecklenburg-Vorpommern konventionell bewirtschaftet. Gemballa, der vor mehr als zehn Jahren bereits den GVO-Mais MON810 angebaut hatte, erhofft sich durch Genome Editing Erträge, mit denen er auf dem Weltmarkt konkurrieren kann. Angesichts der Risikodiskussion fragte er provozierend: „Wo sind eigentlich die Toten?“
Friedhelm von Mering sieht die durchaus, wenn auch einstweilen „nur“ im Ökosystem. Es mache einen Unterschied für nützliche Insekten, ob ein genveränderter Bt-Mais über die ganze Wachstumsperiode hinweg Insektizide verströme oder ob nur zu bestimmten Terminen gespritzt werde, wie bisher in der konventionellen Landwirtschaft, erklärte der politische Referent beim Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW). Für die 40.000 Unternehmen aus dem Biobereich, deren Interessen der BÖLW vertritt, birgt das Genome Editing unkalkulierbare Risiken. Um ihre Bio-Produkte, wie das Gesetz verlangt, sicher ohne GVO herstellen zu können, müssten sie einen dreistelligen Millionenbetrag investieren, um Lieferketten zu prüfen und Personal zu schulen, so der BÖLW-Experte. Und das, obwohl andere die GVO in Umlauf brächten. „Das Verursacherprinzip wird hier auf den Kopf gestellt,“ kritisierte von Mering.
Bis auf europäischer Ebene entschieden sei, ob die neuen Techniken als Gentechnik eingestuft werden, müssten sie in Deutschland als GVO betrachtet werden, forderte der Verbandsvertreter. Anders sei ihr Weg später nicht mehr nachzuverfolgen. Derzeit warten Europäische Kommission wie Mitgliedsstaaten auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs, der voraussichtlich bis 2018 über die Einstufung des Genome Editing entscheiden wird. [vef]Dossier: Neue Gen-Techniken - CRISPR & Co