UPDATE: Der Gesetzentwurf der Bundesregierung, der es ermöglichen soll, den Anbau gentechnisch veränderter Organismen (GVO) zu verbieten, wurde bei einer Anhörung im Agrarausschuss des Bundestages von den meisten Experten kritisiert: Die einen stellten in Frage, ob die geplante Änderung des Gentechnikgesetzes praktikabel und verfassungsgemäß ist. Andere bemängelten, dass die Agrarforschung dadurch den Anschluss ans Weltniveau verlieren könnte. Einige Experten hielten jedoch einen Gesetzentwurf des Bundesrates aus dem Jahr 2015 für geeignet, rechtssichere Anbauverbote für GVO in Deutschland zu erwirken.
Der ehemalige Referatsleiter des Bundesagrarministeriums, Wolfgang Koehler, hielt es für ausgeschlossen, dass sich – wie im Entwurf gefordert - sechs Ministerien auf ein Anbauverbot für einen GVO verständigen. „Das würde ein Beamtenleben dauern“, warnte der Einzelsachverständige. Ähnlich sah das die Gentechnikexpertin des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND), Heike Moldenhauer. Sie forderte außerdem, die Beteiligung der Bundesländer beim GVO-Verbot wie bei dessen Aufhebung ersatzlos zu streichen. Nur so könne ein Flickenteppich unterschiedlicher Regelungen in Deutschland verhindert werden. Die Bundesregierung müsse beim GVO-Verbot einziger Akteur sein und damit auch das Klagerisiko tragen.
Auch für Beatrix Tappeser, Staatssekretärin im hessischen Landwirtschaftsministerium, rücken mit dem Regierungsentwurf flächendeckende Anbauverbote „in weite Ferne“. Er sei „aus Sicht der Bundesländer sehr enttäuschend“. Die Länder hätten mit der Bundesregierung in einem Eckpunktepapier einen Kompromiss erzielt, der sich im Regierungsentwurf nicht mehr wiederfinde. Tappeser zieht den Bundesratsentwurf vor, der die Zuständigkeiten eindeutig regele.
„Eine verfassungswidrige Mischverwaltung“ zwischen Bund und Ländern bemängelte gar der Rechtsanwalt Georg Buchholz im Regierungsentwurf. Er befürchtet, dass sich Amtshaftungsansprüche gegen den Bund ergeben könnten. Im übrigen müsse das Ziel der Koexistenz von GVO und konventionellem Anbau im Gentechnikgesetz noch eingeschränkt werden. Der Bundesratsentwurf, der das vorsieht, könne „ein flächendeckendes Anbauverbot wesentlich besser und rechtssicherer erreichen“.
Schwerwiegende verfassungs-, unions- und welthandelsrechtliche Bedenken gegen den Regierungsentwurf äußerte auch Prof. Hans-Georg Dederer von der juristischen Fakultät der Universität Passau. Er hält es für problematisch, GVO zu verbieten, die durch europäische Kontrollbehörden auf Basis wissenschaftlicher Expertisen sowie gemäß den Sicherheits-, Umwelt- und Gesundheitsregeln der EU erlaubt worden sind.
Für Prof. Joachim Schiemann vom Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen gibt es keine naturwissenschaftlichen Gründe, GVO zu verbieten. Der Forscher verwies darauf, dass die Gentechnik in der Landwirtschaft bereits Realität sei und zur Weiterentwicklung der Nutzpflanzen beigetragen hätte. Er begrüßte es, dass neuartige Technologien wie das Genome Editing in der Begründung zum Gesetzentwurf nicht generell als Gentechnik eingestuft werden.
Für Prof. Hans-Jörg Jacobsen vom Institut für Pflanzengenetik der Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Universität Hannover ist horizontaler Gentransfer einer der Motoren der Evolution. Die wissenschaftlichen Grundannahmen des Gentechnikgesetzes von 1993 seien inzwischen überholt. Daher plädierte er dafür, gemäß dem aktuellen Stand der Forschung ein europäisches Gesetz zu erarbeiten, das die Eigenschaften einer neuen Pflanzensorte auf den Prüfstand stellt, und nicht die Art und Weise, wie diese Pflanze erzeugt wurde.
Vor der Anhörung hatten sich mehrere Verbände und Unternehmen der Biobranche mit einem Brief an die Ausschussabgeordneten gewandt. Sie kritisierten darin, dass der Gesetzentwurf die Nulltoleranz-Regel für nicht zugelassene gentechnisch veränderte Organismen aufweiche. Das müsse dringend geändert werden, um die Ökosysteme, die gentechnikfreie Saatguterzeugung, Landwirtschaft, Lebensmittelproduktion und Imkerei zu schützen, forderte unter anderem die Interessengemeinschaft für gentechnikfreie Saatgutarbeit.
Auch die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft hatte einen umfangreichen Forderungskatalog an den Ausschuss gesandt, wo der Gesetzentwurf überall geändert werden muss. So wird darin unter anderem die Streichung der Länderöffnungsklausel gefordert. Gemeinsam mit weiteren Verbände und Initiativen kritisierte sie den Regierungsentwurf erneut scharf. [vef]Deutscher Bundestag - Anhörung zur Änderung des GentechnikgesetzesBrief an den Agrarausschuss zum Nulltoleranz-PrinzipPresseinformation der AbL: Forderungen an den Agrarausschuss zum Entwurf zum GentechnikgesetzPresseinfo von IG Saatgut u.a.: Keine Duldung von nicht zugelassenen Gentechnik-Pflanzen auf dem Acker (16.1.2017)Dossier: EU-Gentechnik-Recht: Nationale Anbau- und Importverbote ("Opt-Out"-Mechanismus)